Ukrainer in Katar verhaftet?
Youtube-Videos für «Al Jazeera»-Fake verwendet
25.11.2022, 13:45 (CET)
Die Gruppenphase läuft: Am 20. November ist die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar eröffnet worden. Unterdessen dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine an. Beide Mannschaften sind bei der WM 2022 nicht vertreten. Trotzdem sollen ukrainische Fans nun vermeintlich für einen Eklat in Katar gesorgt haben: In sozialen Netzwerken und in russischen Telegram-Kanälen verbreiten Nutzer ein Video, das angeblich vom arabischen Nachrichtensenders «Al Jazeera» stammen soll. Drei betrunkene Ukrainer seien in Doha festgenommen worden, nachdem sie «Nazi-Symbole» verbreitet hätten, heißt es darin. Die Männer hätten einen faschistischen Gruß gezeigt und zudem einen Hitler-Bart auf zehn Poster des offiziellen WM-Maskottchens «La'eeb» gemalt.
Bewertung
Bei dem Video handelt es sich um eine Fälschung. Ein Sprecher von «Al Jazeera» bestätigte auf dpa-Anfrage, dass das Video nicht vom Sender veröffentlicht oder produziert wurde. Das Logo von «Al Jazeera» wird missbräuchlich verwendet. Die Sequenzen stammen aus zwei Youtube-Videos.
Fakten
In dem gefälschten Video ist an mehreren Stellen das offizielle Logo des TV-Senders «Al Jazeera» zu sehen. Auf den ersten Blick sieht das Video authentisch aus: Der Clip ähnelt in der Machart, etwa bei den Einblendungen und der Schrift, den Videos, die der Sender auf seinen Social-Media-Accounts veröffentlicht. Eine Suche auf den Webseiten von «Al Jazeera» nach einem entsprechenden Bericht liefert keine Ergebnisse. Auch sonst lassen sich keine Medienberichte über den vermeintlichen Vorfall finden.
Ein kleines Detail liefert einen ersten Hinweis, dass es sich um eine Fälschung handelt: Zu Beginn des im Netz verbreiteten Videos wird zunächst eine Art Ortsmarke eingeblendet. «Doha, Qatar» und das Datum «20 NOV 2022.» ist zu lesen. Auf dem verifizierten Instagram-Account hat der Sender ein Video über die Atmosphäre beim Eröffnungsspiel veröffentlicht. Auch darin wird fast exakt diese Ortsmarke eingeblendet. Der Unterschied: In diesem Video gibt es bei dem Datum keinen Punkt hinter der Jahreszahl.
Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigte ein Sprecher des Senders, dass es sich um eine Fälschung handelt. «Al Jazeera hat dieses oder anderes Material, das damit in Verbindung steht, nie veröffentlicht.»
Woher stammen die gezeigten Bilder?
Das Video-Material, das in dem gefälschten Video zu sehen ist, stammt nicht von «Al Jazeera», wie eine dpa-Recherche zeigt:
In der ersten Sequenz läuft zunächst ein Mann mit einem gelben Shirt durch das Bild. Auch im Hintergrund erkennt man mehrere Menschen mit gelben Oberteilen. Andere halten rot-weiße Fahnen in der Hand. Außerdem zeigen die Bilder einen Mann der einen Thawb trägt, ein für Katar typisches weißes Gewand. Der Mann befindet sich offenbar vor einem Eingang: «Spectator Entrance» lautet mehrfach die Aufschrift im Hintergrund.
Eine Bilder-Suche mit den Stichworten «Spectator Entrance» und «World Cup Qatar» liefert ähnliche Fotos als Ergebnis - und einen Hinweis auf den Aufnahmeort. Einige der Bilder sind im Zuge des Eröffnungsspiels entstanden. Darauf sind die rot-weißen Fahnen als katarische Flaggen zu identifizieren. Die Menschen mit den gelben Oberteilen tragen Ecuador-Trikots. Die Sequenz aus dem Video zeigt im Hintergrund offenbar die Eingänge des Al-Bayt-Stadions in Doha. Auch im Fake-Video wird dieses Stadion genannt - allerdings mit falscher Schreibweise «El Bait stadium».
Mit einer Suche bei Youtube nach dem WM-Eröffnungsspiel findet man dann die Quelle der Aufnahmen, die für die Fälschung verwendet wurden: Die englische Tageszeitung «The Sun» hat ein drei Stunden langes Video über die Ankunft der Fans beim Eröffnungsspiel veröffentlicht. Gleich zu Beginn des Videos ist die erste Sequenz aus dem gefälschten Clip zu sehen. Auch weitere Sequenzen aus dem «The Sun»-Video (hier bei Minute 13:16 und hier ab Minute 23:28) wurden für die Fälschung verwendet.
Acht Jahre altes Youtube-Video enthält Szene mit Polizisten
Auch die Videosequenz mit den Polizisten, die zu Ende des Fakes eingeblendet wird, stammt aus einem Youtube-Video. Der arabische Youtube-Account «AlrayyanTV» hat mehrere Videos veröffentlicht, in denen es um die katarische Rettungspolizeibehörde «Al Fazaa» geht. In einem vor acht Jahren hochgeladenen Video sind die Szenen aus der Fälschung ab Minute 6:38 zu sehen. Wie aus dem Original hervorgeht, kontrollieren die Polizisten demnach einen älteren Mann, der nicht weiß, wie er heißt oder wo er wohnt. In der Szene geht es also nicht um ukrainischen Fans bei der WM.
Das in der Fälschung gezeigte Foto von ukrainischen Fans kursiert schon seit einiger Zeit im Netz. Auf einem ukrainischen Informationsportal wurde es für einen Bericht über Gesänge von ukrainischen Fans bei der Futsal-Europameisterschaft 2022 in Amsterdam verwendet. Ob das Foto auch in diesem Zusammenhang entstanden ist, bleibt jedoch unklar.
Darüber hinaus ist neben den Youtube-Aufnahmen und dem Fan-Foto in der Fälschung auch ein Bild des offiziellen WM-Maskottchens «La'eeb» mit «Hitlerbart» und dem Nazi-Gruß «Sieg Heil» als Aufschrift zu sehen. Eine Bilderrückwärtssuche liefert zu diesem Bild jedoch keine Ergebnisse. Im Netz sind auch keine anderen Fotos des Plakats aus anderen Blickwinkeln zu finden. Das ist ungewöhnlich. Denn wenn wirklich zehn Poster im Stadionumfeld so beschmiert worden wären, würde man in den sozialen Medien höchstwahrscheinlich weitere Fotos finden.
Niederländische Faktenprüfer von «Knack» haben diese Videosequenz einem Experten für Bildmanipulation vorgelegt. Eine Analyse mit einem Bildmanipulationsdetektor deute darauf hin, dass der Teil des Fotos mit «Sieg Heil» möglicherweise manipuliert wurde. «Dieser Teil wurde in einer anderen Qualität komprimiert als der Rest des Fotos», schreiben die Knack-Faktenprüfer. Hinweise auf das mögliche Originalbild, das für die Fälschung verwendet worden sein könne, liefert die Bilderrückwärtssuche aber nicht. Allerdings: Im Netz gibt es ähnliche Fotos von Werbebanden mit dem WM-Maskottchen, die in Doha entstanden sind (hier, hier und hier).
Medien-Fakes sollen Narrativ stützen und Angriffskrieg legitimieren
Im Zuge des Ukraine-Krieges versuchen pro-russische Akteure immer wieder die Ukraine und deren Regierungsvertreter als Rechtsradikale und Nationalsozialisten zu brandmarken. Damit soll der russische Angriffskrieg auf das Nachbarland gerechtfertigt und das Narrativ der vermeintlichen «Entnazifizierung» des Landes gestärkt werden. Darauf zielt auch die «Al Jazeera»-Fälschung ab. Die Deutsche Presse-Agentur hat sich in der Vergangenheit bereits mit ähnlichen Vorwürfen in Faktenchecks beschäftigt. Auch gefälschte Medienberichte tauchen dabei immer wieder auf.
(Stand: 25.11.2022)
Links
Englische «Al Jazeera»-Webseite mit Logo (archiviert)
«Al Jazeera»-Tweet mit Video (archiviert / archiviertes Video)
Instagram-Reel zum WM-Auftakt von «Al Jazeera» (archivierter Post / archiviertes Video)
Google-Bilder-Suche (archiviert)
Such-Ergebnis von Fans bei WM-Auftakt (archiviert)
Shutterstock-Foto von Al-Bayt-Stadion in Doha (archiviert)
Youtube-Suche nach WM-Eröffnungsspiel (archiviert)
«The Sun»-Video über Ankunft der Fans (archiviert)
Google-Suche nach «police Doha» (archiviert)
Über die katarische Rettungspolizeibehörde «Al Faaza» (archiviert)
Youtube-Video aus 2013 über Polizeibehörde (archiviert)
Bericht über ukrainischen Fangesang bei Futsal-EM (archiviert)
Über das offizielle FIFA WM-Maskottchen 2022 (archiviert)
Niederländischer Faktencheck von «Knack» (archiviert)
Analyse des Bildmanipulationsdetektor (archiviert)
«The Times»-Bericht mit Foto (archiviert)
Fotos bei Bildagentur «Getty Images» (archiviert)
dpa-Faktencheck «Kein Nazi-Symbol: Selenskyj trägt Totenkopf-Logo einer ukrainischen Brigade»
dpa-Faktencheck über gefälschte Nachrichten-Seiten
Telegram-Post mit Fake-Video (archiviert / archiviertes Video)
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