Unter der Straße von Gibraltar

Staaten planen Tunnelbau aus wirtschaftlichen Gründen

5.12.2022, 15:58 (CET)

Im Netz kursieren viele falsche Informationen zur Migrationspolitik: Nutzer behaupten nun, es werde angeblich ein Tunnel für Geflüchtete zwischen Europa und Afrika gebaut. Doch das ist Quatsch.

Bei Facebook teilen Nutzer derzeit ein Video: Um Schutzsuchenden einen sicheren Übergang von Afrika nach Europa zu ermöglichen, werde angeblich ein Tunnel unter der Straße von Gibraltar gebaut, heißt es darin. Demnach könnten künftig Geflüchtete in nur 30 Minuten von Marokko nach Spanien reisen. In dem Video wird anschließend behauptet, ein Flugzeug der Lufthansa bringe die Flüchtlinge dann weiter nach Deutschland. Zudem würde sich die BRD mit angeblich 80 Prozent an den Baukosten beteiligen.

Bewertung

Bei dem Video handelt es sich offenbar um Satire. Es gibt tatsächlich Pläne von Marokko und Spanien, einen Verbindungstunnel unter der Straße von Gibraltar zu erreichten. Allerdings geht es dabei um wirtschaftliche Gründe. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Deutschland den Großteil der Kosten finanziert. Auf Nachfrage bestätigte zudem die Lufthansa, dass die Behauptung über den Transport von Geflüchteten mit Flugzeugen falsch sei.

Fakten

Der bei Facebook verbreitete Clip stammt von einem Tiktok-Profil. Der Account bezeichnet sich selbst als «Satiriker». Das ist ein erster Hinweis, die Behauptungen mit Vorsicht zu genießen. Bei dem Video, das auf Tiktok mehr als 460 000 Mal aufgerufen wurde, handelt es sich offenbar um einen satirisch gemeinten Beitrag.

In dem Video sind keine Arbeiten an einem Tunnel unter der Straße von Gibraltar zu sehen. Die Bilder sind unter anderem auf verschiedenen Internetseiten zu finden. Darunter ist eine Foto-Webseite, eine Seite über Bergbauprojekte sowie ein Artikel mit einem Film über einen Tunnelbau in Australien.

Anlass für den Beitrag dürfte sehr wahrscheinlich ein kürzlich veröffentlichter Artikel der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) sein. Diese hatte am 8. November 2022 über die Pläne von Marokko und Spanien berichtet, einen Tunnel unter der Straße von Gibraltar zu bauen. Demnach wollen die Staaten mit neuen Studien das Projekt vorantreiben. In dem Artikel wird auch erwähnt, dass ein Unterwassertunnel die Reise von Europa nach Afrika in 30 Minuten ermöglichen könnte.

Marokko und Spanien hegen seit Jahren Pläne für Verbindungstunnel

Ideen, eine direkte Verbindung unter oder über die Straße von Gibraltar zu bauen, gibt es derweil schon seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten. Konkret wurde das Vorhaben als König Hassan II. von Marokko und König Juan Carlos I. von Spanien am 16. Juni 1979 in Fes offiziell ihre Bereitschaft erklärten, bei einem solchen Projekt zusammenzuarbeiten. Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Studien durchgeführt und Entwürfe entwickelt, etwa für eine Hängebrücke. Aber bis heute wurde noch kein Bauprojekt begonnen.

Allerdings berichteten internationale Medien (hier, hier, hier) in den vergangenen Monaten, dass Spanien und Marokko das Projekt nun wiederbeleben wollen. So wurde der spanischen Regierungsbehörde Secegsa, die auf spanischer Seite für den Bau der Direktverbindung nach Marokko zuständig ist, kürzlich ein Betrag von 750 000 Euro im spanischen Staatshaushalt für das Jahr 2023 zugewiesen. Laut der spanischen Online-Zeitung «El Diario» wird dieser Betrag verwendet, um die jahrzehntealten Vorentwürfe unter Berücksichtigung technologischer Entwicklungen zu aktualisieren. Es sei «der letzte und notwendige Schritt, um mit den Bauarbeiten zu beginnen», zitierte die Zeitung einen Secegsa-Vertreter.

Falls ein Tunnel tatsächlich gebaut wird, ist laut Secegsa nur eine Route möglich: Sie führt von Punta Paloma in Spanien, westlich von Gibraltar, nach Punta Malabata in Marokko, nordöstlich von Tanger. Der für den Schienenverkehr ausgelegte Tunnel soll 42 Kilometer lang und mehrere Hundert Meter tief sein.

Tunnelbau soll sich positiv auf die Wirtschaft auswirken

Dass der Tunnel für Geflüchtete gebaut werde und Schutzsuchenden den Weg von Afrika nach Europa erleichtern soll, dafür gibt es keine Hinweise. Auch in dem FAZ-Bericht ist davon nicht die Rede. Als Hauptgrund für den Bau nennt die Regierungsbehörde Secegsa die Förderung «des Personen-, Waren- und Dienstleistungsflusses», um damit die Wirtschaft zu verbessern und für wirtschaftliches Wachstum für die gesamte Region zu sorgen.

Auch für die Behauptung, dass Deutschland den Tunnel mitfinanziere und für 80 Prozent der Baukosten aufkomme, lassen sich keine Hinweise finden. Wahrscheinlich trägt Deutschland indirekt über EU-Fördermittel bei. So hat die Secegsa angegeben, Geld aus der Recovery and Resilience Facility, dem europäischen Finanzierungsinstrument zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie, erhalten zu haben. Das geht auch aus der Aufstellung des Staatshaushalts hervor.

Die Behauptung, die Lufthansa würde die Flüchtlinge, die durch den Tunnel kommen würden - falls und wenn er jemals gebaut wird - nach Deutschland bringen, ist unterdessen völlig erfunden. Ein Sprecher der deutschen Fluggesellschaft schreibt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur: «Wir beabsichtigen nicht, Flüchtlinge zu transportieren.»

(Stand: 5.12.2022)

Links

Tiktok-Profil «fettbaer_man» (archiviert)

Tiktok-Video (archiviert / archiviertes Video)

Shutterstock-Tunnel (archiviert)

Foto auf der Webseite Autodesk (archiviert)

Beitrag über die längsten Tunnel in Australien (archiviert)

FAZ-Bericht vom 8. November 2022 (archiviert)

Über die spanischen Regierungsbehörde Secegsa (archiviert)

Secegsa über die geschichtlichen Hintergründe der Tunnelplanungen (archiviert)

Secegsa über Ursprung des Fixed-Link-Projekts (archiviert)

Secegsa über die Projektentwicklung (archiviert)

«El Diario»-Bericht aus dem Oktober 2022 (archiviert)

«Medias24»-Bericht aus dem Oktober 2022 (archiviert)

Artikel des «Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)» (archiviert)

Spanischer Staatshaushalt (archiviert)

Über das EU-Förderprogramm zur Stärkung der Aufbau- und Resilienzfazilität (archiviert)

Facebook-Post mit Video (archiviert / archiviertes Video)

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