Falscher Zusammenhang
Verfassungsschutz-Chef spricht von russischer Spionage
29.10.2022, 15:52 (CEST)
Einmal im Jahr stellen sich in Deutschland die Präsidenten der Nachrichtendienste den Fragen von Bundestagsabgeordneten. Die Anhörung vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) fand am 17. Oktober 2022 bereits zum sechsten Mal statt. Auch Thomas Haldenwang, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), nahm an der Sitzung teil.
Auf Facebook teilen Nutzer nun Videos, die eine Aussage Haldenwangs bei der Anhörung zeigen sollen. In den Beiträgen heißt es unter anderem, der Verfassungsschutzpräsident könne sich «ein härteres Vorgehen gegen Oppositionelle bis hin zur Tötung vorstellen». Ein User kommentiert: «Typisch für jede Diktatur». Ein anderer fragt: «Wann und warum soll bitte ein Mensch mit einer anderen Meinung umgebracht werden "von Staats wegen"? Ist die Stasi 2.0 jetzt da?».
Bewertung
Die Aussage von Thomas Haldenwang wurde aus dem Kontext gerissen. Er bezieht sich auf konspirative Spionageaktionen durch russische Agenten in Deutschland. So bestehe die Gefahr, dass Gegner des russischen Regimes und russische Oppositionelle verstärkt durch russische Agenten beobachtet würden. Für das BfV erscheint demnach auch ein härteres Vorgehen bis hin zur Ermordung der Oppositionellen durch russische Agenten für möglich.
Fakten
Ein Mitschnitt zeigt die Anhörung vom 17. Oktober in voller Länge. Zu Beginn der Sitzung geben die Präsidentinnen und Präsidenten der jeweiligen Nachrichtendienste ein Eingangsstatement. Thomas Haldenwang weist in seinem Redebeitrag (Minute 12:45 bis Minute 21:39) auf die veränderte Sicherheitslage in Deutschland im Zuge des Ukraine-Krieges hin. So habe der Krieg auch Auswirkungen auf die Art der Spionage durch Russland. Der BfV-Chef geht davon aus, dass es künftig mehr konspirative Spionageaktionen geben werde, etwa in Form von Cyberangriffen.
Im Verlauf der Anhörung fragt der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann beim Verfassungsschutzpräsidenten nach, wo für Russland die innenpolitischen und thematischen Ansätze sind, um die deutsche Demokratie zu destabilisieren. Zudem möchte Hoffmann wissen, auf welche Art konspirativer Spionage sich der einzelne Bürger einstellen müsse (ab Minute 52:16).
In seiner Antwort (ab Minute 57:10) erklärt Haldenwang zunächst, die russische Propaganda setze auf alle Themen, die sich für die Verbreitung russischer Narrative eigneten. Insbesondere zielten Propaganda und Desinformation auf Themen ab, die in Deutschland ohnehin kontrovers diskutiert würden. Als Beispiele führt er die Corona-Pandemie, die Inflation und die Entwicklungen auf dem Energiemarkt an.
Anschließend geht der BfV-Präsident auf die Frage zur Art der konspirativen Spionage ein (ab Minute 59:33). Im Wortlaut sagt er: «Ich glaube, da wird die Bürgerin und der Bürger nicht allzu viel mitbekommen. Das ist unser Job zu analysieren: Wo sind jetzt mehr Agenten auf der Straße? Wo werden Anbahnungsversuche unternommen? Wo findet klassische Spionage statt? Und damit werden wir uns dann intensiv auseinanderzusetzen haben. Eine Gefahr besteht auch - ich habe es vorhin schon angesprochen -, dass Oppositionellen-Beobachtung sehr viel stärker stattfinden wird und das möglicherweise auch energisches Vorgehen gegen Oppositionelle bis hin zur Tötung vorstellbar erscheint.»
Bei Facebook verbreiten Nutzer diese Antwort teilweise verkürzt und ohne Kontext. Wie in dem Mitschnitt jedoch klar nachzuvollziehen ist, bezieht sich Thomas Haldenwang in seiner Äußerung auf russische Spionage - nicht auf die Tötung von deutschen Oppositionellen.
(Stand: 28.10.2022)
Links
Bundestag über die jährliche Nachrichtendienst-Anhörung vom 17. Oktober 2022 (archiviert)
Über das Parlamentarische Kontrollgremium (archiviert)
Über Thomas Haldenwang (archiviert)
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