Neues Bürgergeld ab Januar

Warum es sich dennoch lohnt, arbeiten zu gehen

14.10.2022, 16:42 (CEST)

Im Januar kommt das neue Bürgergeld. Ein angeblicher Maler behauptet nun, seine Familie habe dann weniger Einkommen als ein vergleichbarer Bürgergeld-Bezieher. Doch an der Berechnung stimmt so einiges nicht.

Hartz IV soll zum 1. Januar 2023 vom sogenannten Bürgergeld abgelöst werden. Millionen Bedürftige in Deutschland werden so unter anderem mehr Geld und bessere Betreuung erhalten. Die Sozialreform muss aber noch durch den Deutschen Bundestag. Auf Facebook kursiert das Foto eines Leserbriefs, in dem der Verfasser behauptet, als Maler mit Ehefrau und Kindern dann weniger Geld zur Verfügung zu haben, als künftige Bürgergeld-Bezieher. Aber ist das wirklich so?

Bewertung

Der Leserbrief-Schreiber rechnet falsch. Er lässt zum Beispiel das Einkommen seiner Ehefrau völlig außer Acht, während er ihre Bezüge bei der Bürgergeld-Aufstellung hinzuzählt. Zudem berücksichtigt er keine Änderungen, die zu seinen Gunsten ausfallen - etwa bei der Einkommenssteuer sowie den Sozialabgaben und -leistungen. Generell können sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und der Bezug von Bürgergeld nicht so einfach miteinander verglichen werden.

Fakten

Wie rechnet der Leserbrief-Schreiber?

Der Autor aus Bayern vergleicht in seinem Leserbrief ein Maler-Gehalt plus Kindergeld für zwei Kinder mit den Leistungen, die das geplante Bürgergeld für eine vierköpfige Familie vorsieht. Netto-Einkommen und Kindergeld summieren sich ihm zufolge auf 2583 Euro. Beim Bürgergeld kommt der Autor zusammen mit dem Kosten für Wohnung und Heizen auf Leistungen in Höhe von 2741 Euro. Und er stellt die Frage: «Für 158 Euro weniger soll ich 160 Stunden arbeiten?»

Sind die Bürgergeld-Sätze in dem Schreiben korrekt?

Die Höhe der Bürgergeld-Sätze ist grundsätzlich richtig. Dem Mann unterlaufen aber zwei Fehler:

Er geht zum einen davon aus, dass er selbst - eine Arbeitslosigkeit vorausgesetzt - 502 Euro Bürgergeld erhalten würde. Seiner Frau stünden 451 Euro zu. Er rechnet aber mit einer falschen Regelbedarfsstufe. Der Höchstsatz gilt nämlich nur für Alleinstehende oder Alleinerziehende. Für Ehepartner in einer Bedarfsgemeinschaft sind nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung jeweils 451 Euro vorgesehen.

Ein ähnlicher Fehler passiert ihm auch bei den Bürgergeld-Regelsätzen für 6 und 14 Jahre alte Kinder, jedoch zu seinem Nachteil. Kinder zwischen 6 und 14 erhalten 348 Euro (nicht 318 Euro). Für Jugendliche ab 14 gibt es 420 Euro.

Hat die Frau kein Einkommen?

Das geht aus dem Leserbrief nicht hervor. Zu seiner Ehefrau gibt der angebliche Maler keinerlei Informationen preis.

Einen Anhaltspunkt liefert nur seine Steuerklasse: Steuerklasse 3 bedeutet, dass er das Ehegattensplitting nutzt. Seine Frau verdient also deutlich weniger als er oder hat gar kein Einkommen. Zugleich nimmt der angebliche Maler in seiner Berechnung für das Bürgergeld die 451 Euro für die Frau mit auf. Dieser Punkt könnte einen Unterschied von Hunderten Euro ausmachen.

Denkbar sind mehrere Szenarien: Falls die Frau Geld verdient, wäre die Rechnung im Leserbrief verzerrt, da sie dann ja eigentlich auch zum gemeinsamen Einkommen beiträgt. Wäre die Frau arbeitslos, könnte sie wohl - eine entsprechende Hilfebedürftigkeit vorausgesetzt - bereits heute Arbeitslosengeld II (ab 2023 Bürgergeld) erhalten. Falls sie Hausfrau sein sollte, steht sie dem Arbeitsmarkt aktuell (und später) nicht zur Verfügung - und bekommt auch kein Arbeitslosengeld (oder Bürgergeld).

Was ist mit Kindergeld und den Kosten für Wohnung und Heizen?

Der angeblich Maler macht den Fehler, dass er mit dem aktuellen Satz des Kindergeldes rechnet und nicht mit der Summe vom 1. Januar 2023. Denn dann erst ab dann soll das Bürgergeld eingeführt werden. Um den Wert den neuen Bürgergeld-Sätzen für Kinder vergleichen zu können, müsste auch die zu diesem Zeitpunkt geltenden Höhe des Kindergeldes berücksichtigt werden.

Ab Januar gibt es für zwei Kinder insgesamt 474 Euro (237 Euro pro Kind). Der Leserbrief-Schreiber rechnet stattdessen mit dem aktuell gültigen Anspruch von 438 Euro (219 Euro pro Kind).

Korrekt ist, dass während einer zweijährigen Übergangszeit die bei Bürgergeld-Beziehern anfallenden Miet- und Heizkosten übernommen werden. Danach wird geprüft, ob gegebenenfalls ein Umzug in eine kleinere Wohnung notwendig ist. Die von dem Mann angegebene Miete (800 Euro) und die Heizkosten (250 Euro) würden in den ersten zwei Jahren eines Bürgergeld-Bezugs also voraussichtlich bezahlt. 

Abhängig von der tatsächlichen Einkommenssituation könnte die Maler-Familie aber bereits heute einen Anspruch auf Wohngeld haben.

Gibt es noch weitere Ungenauigkeiten bei der Rechnung?

Ja, diese ergeben sich durch das genannte Gehalt. Denn der Mann gibt nicht sein eigenes Einkommen an, sondern das eines durchschnittlichen Malers und Lackierers. Diese Zahl ist aber veraltet. Das mittlere Einkommen dieser Berufsgruppe liegt in Deutschland im Oktober 2022 bei 2891 Euro (nicht 2819 Euro).

Die durchgeführte Brutto-Netto-Rechnung lässt sich wegen fehlender Daten nur zum Teil nachvollziehen. Darüber hinaus tut sich hier ein ähnliches Problem wie beim Kindergeld auf: Da das Bürgergeld erst im Januar 2023 in Kraft treten soll, müssen auch die dann geltenden Bedingungen bei Steuern und Sozialabgaben berücksichtigt werden.

So wird etwa der Grundfreibetrag pro Person um 285 Euro (Paare: 570 Euro) erhöht. Zudem werden insbesondere niedrige Einkommen bei der Einkommenssteuer entlastet. Im Schnitt sollen Arbeitnehmer 2023 so 192 Euro mehr netto haben, wenn sich ihr Einkommen nicht ändert. Darüber hinaus können die Rentenbeiträge ab kommendem Jahr komplett von der Steuer abgesetzt werden. Aber auch leichte Erhöhungen gibt es 2023, etwa beim Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Ein letzter Hinweis: Der Maler lässt bei seiner Aufstellung auch die langfristigen Folgen außer Acht. Beim Bürgergeld werden wie bei Hartz IV keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Jeder Monat in der Grundsicherung schmälert also künftige Rentenzahlungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Aufstellung ist mehrfach zum Nachteil einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aufgestellt und deutlich unterkomplex. Allein die fehlenden Angaben zum Verdienst der Frau des angeblichen Malers verzerren die Rechnung mutmaßlich um Hunderte Euro. Zudem werden etwa Entlastungen bei der Steuer und das höhere Kindergeld ab 2023 in der Rechnung nicht berücksichtigt.

Kann man denn seinen Job kündigen und einfach Bürgergeld beziehen?

Nein. Bleiben wir am Beispiel des Malers. Würde er sich arbeitslos melden, müsste er zuerst Arbeitslosengeld (ALG I) beantragen. Das liegt daran, dass die Grundsicherung (Hartz IV) für Arbeitssuchende gegenüber anderen Hilfen nachrangig ist. Andere Sozialleistungen müssen also zuerst in Anspruch genommen werden. Neben Arbeitslosengeld zählen dazu etwa auch Wohn-, Eltern- und Krankengeld.

Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld ist, dass man in den zweieinhalb Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate lang sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Höhe bemisst sich am durchschnittlichen Bruttolohn, den der Antragsteller im Vorjahr erhalten hat. Daraus wird ein pauschaliertes Netto-Entgelt errechnet. Arbeitslose mit Kind erhalten 67 Prozent dieses Entgelts, alle weiteren Arbeitslosen 60 Prozent.

Die Anspruchsdauer liegt je nach Versicherungszeit und Alter des Empfängers zwischen 6 und 24 Monaten. Bei einer Eigenkündigung oder einer selbstverschuldeten Kündigung würde man nicht sofort Arbeitslosengeld bekommen. Es droht eine Sperre von zwölf Wochen.

Wie ginge es danach weiter?

Wenn das Arbeitslosengeld ausliefe und der Maler noch keinen neuen Job gefunden hätte, könnte er zum Arbeitslosengeld II - auch Hartz IV genannt - wechseln. Die Leistung soll von Januar an durch das neue Bürgergeld ersetzt werden. Ihr Zweck ist, das Existenzminimum zu sichern. Die Höhe richtet sich nicht nach dem letzten Lohn, sondern nach dem Bedarf für den Lebensunterhalt sowie den Kosten für Wohnung und Heizen. Die Bezieher des neuen Bürgergelds dürfen sich auch - wie zuvor schon - etwas hinzuverdienen. Ein Teil davon wird aber mit der Sozialleistung verrechnet.

Welche Bedingungen gibt es für den Bezug des Bürgergeldes?

Eine Voraussetzung ist unter anderem, dass der mögliche Empfänger der Grundsicherung erwerbsfähig ist. Ihn hindern also weder eine Krankheit noch eine Behinderung an der Aufnahme einer Arbeit von täglich mehr als drei Stunden. Zudem muss eine Hilfebedürftigkeit vorliegen. Das heißt, dass das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft unter dem Existenzminimum liegt und sie den Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Mitteln bestreiten kann.

Daher gibt es auch beim Bürgergeld eine Bedürftigkeitsprüfung: Das heißt, dass zum Beispiel bei einem bestimmten Vermögen kein Anspruch auf Grundsicherung besteht. Im den ersten beiden Jahren des Bezugs dürfen Empfänger einen Teil ihres Ersparten unangetastet lassen.

Im Fall einer vierköpfigen Familie wären das laut dem Gesetzentwurf 150 000 Euro. Danach gelten strengere Regeln. Anrechnungsfrei sind dann nur noch 15 000 Euro pro Person. Anstatt ihr Erspartes - etwa das für die Altersvorsorge - aufbrauchen zu müssen, ermöglicht die Neuregelung dem Bundesarbeitsministerium zufolge, dass die Menschen sich besser auf die Jobsuche konzentrieren zu können.

Haben Bürgergeld-Bezieher auch Pflichten?

Ja. So dokumentiert zum Beispiel ein Kooperationsplan die gemeinsam entwickelte Eingliederungsstrategie. Bürgergeld-Bezieher müssen etwa Beratungstermine und Weiterbildungsangebote wahrnehmen, aktiv an der Arbeitssuche mitwirken und sich auf Jobcenter-Vorschläge bewerben. Außerdem sind die verpflichtet, zumutbare Stellen anzunehmen. Bei Verletzung dieser Mitwirkungspflichten kann die Agentur für Arbeit das Bürgergeld um bis zu 30 Prozent kürzen.

(Stand: 14.10.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Artikel der Bundesregierung zum Bürgergeld (archiviert)

Gesetzentwurf Bürgergeld (Stand 14.10.2022) (archiviert)

Informationen zu den Lohnsteuerklassen (archiviert)

Artikel der Bundesregierung zur Kindergeld-Erhöhung (archiviert)

Bürgergeld-FAQ des Bundesarbeitsministeriums (archiviert)

Regierungsinformationen zum Wohngeld (archiviert)

Endgeltatlas (Maler- und Lackierer) (archiviert)

Artikel der Bundesregierung zum Grundfreibetrag (archiviert)

Absetzbarkeit von Rentenbeiträgen ab 2023 (archiviert)

Artikel der Bundesregierung zur Krankenversicherung (archiviert)

Informationen der Rentenversicherung für Arbeitslose (archiviert)

Informationen zum Arbeitslosengeld (archiviert)

Höhe des Arbeitslosengeldes (archiviert)

Abspruchsdauer von Arbeitslosengeld (archiviert)

Übergang von Arbeitslosengeld zu Arbeitslosengeld II (archiviert)

Nachrangigkeit von Arbeitslosengeld II (archiviert)

Voraussetzungen für Arbeitslosengeld II (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.