Sigmar Gabriel distanziert sich von vermeintlicher Reichsbürger-Aussage

Immer wieder zweifeln sogenannte «Reichsbürger» öffentlich die Souveränität Deutschlands und die Legitimität der Regierung an. In einem Facebook-Post wird behauptet, dass die Bundesrepublik kein souveräner Staat sei, sondern eine Kolonialverwaltung der Besatzungsmächte. Diese Aussage wird dabei vermeintlich unterstützt durch ein 15-sekündiges Video, in dem der SPD-Politiker Sigmar Gabriel unter anderem sagt, dass Deutschland gar keine Bundesregierung habe. Außerdem zeigt ein angehängtes Bild ein Zitat des SPD-Politikers Carlo Schmid: «Wir haben keinen Staat zu errichten.»

Bewertung

Das Video von Sigmar Gabriel ist echt, allerdings ist seine Aussage aus dem Kontext gerissen. Der damalige SPD-Vorsitzende machte vor seinen Parteigenossen einen Witz. Deutschland ist ein souveräner Staat und hat sowohl eine Verfassung als auch eine Regierung.

Fakten

Das Video von Sigmar Gabriel stammt vom Landesparteitag der NRW-SPD in Dortmund am 26. Februar 2010. Der damalige SPD-Vorsitzende kritisierte in seiner Rede die Regierung und griff dabei auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf an. Es handelt sich um eine Wahlkampf-Rede, in der Gabriel die Bedeutung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im darauffolgenden Mai hervorhebt.

Das Zitat als Ausschnitt, ohne den Rest der Rede Gabriels, erschwert es, den Gesamtzusammenhang zu beurteilen. Die Aussage, dass Deutschland «gar keine Bundesregierung» hat und Frau Merkel «Geschäftsführerin einer neuen Nichtregierungsorganisation in Deutschland» ist, ist Ironie. Dies bestätigt Sigmar Gabriel auch in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, in der er sich klar von Reichsbürgern distanzierte. Bei deren «schräger Ideologie» wundere es Gabriel nicht, dass Ironie offenbar nicht verstanden und ein Zitat aus dem Kontext gerissen werde.

Die Aussage des Facebook-Posts, dass Deutschland kein souveräner Staat, sondern eine Kolonialverwaltung der Besatzungsmächte sei, ist falsch. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag erlangte das vereinte Deutschland am 15. März 1991 die endgültige Souveränität sowohl über seine inneren als auch äußeren Angelegenheiten. So schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, dass der Zwei-plus-Vier-Vertrag «den Schlusspunkt der schrittweisen Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg» markiert.

Konkret heißt es in Artikel 7 des Vertrags: «Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes.»

In seiner Rede zum Grundgesetz im Jahr 1948 sagt Carlo Schmid: «Wir haben nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten. Wir haben etwas zu schaffen, das uns die Möglichkeit gibt, gewisser Verhältnisse Herr zu werden.» Schmid wirkte in den Jahren 1948 und 1949 im Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit. Das Grundgesetz begriff Schmid als Provisorium, da die Sowjetische Besatzungszone - die spätere DDR - nicht einbezogen wurde.

Erst seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist das Grundgesetz die Verfassung der gesamten Bundesrepublik. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung entschieden sich die Beteiligten dagegen, eine komplett neue Verfassung zu entwerfen.

Teile der Reichsbürgerszene werden von den Behörden als rechtsextrem eingestuft. «Reichsbürger» und auch sogenannte «Selbstverwalter» lehnen aus unterschiedlichen Gründen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und dessen Rechtssystem ab. Der Verfassungsschutz rechnet in dessen Jahresbericht von 2021 bundesweit etwa 21 000 Menschen zu diesen Gruppen.

(Stand: 6.10.2022)