Gefälschter Tweet
Russische Botschaft schrieb nicht über deutsche «Exilregierung»
9.9.2022, 15:37 (CEST)
Ein vermeintlicher Tweet der russischen Botschaft in Deutschland sorgt in Zeiten angespannter Beziehungen zwischen beiden Ländern für Aufsehen. Denn angeblich schreibt die Auslandsvertretung, dass ein Vertreter einer deutschen «Exilregierung» mit russischen Unternehmern und Politikern Verhandlungen über Gaslieferungen geführt habe. Außerdem wünsche man «der neuen jungen deutschen Regierung alles Gute». Hat hier ein offizieller russischer Account also einen Hochstapler als deutsche Regierung anerkannt?
Bewertung
Der Tweet ist eine Fälschung. Die russische Botschaft in Berlin teilt mit, ihn nicht verfasst zu haben. Zwar gibt sich ein deutscher Aktivist auf Telegram seit Tagen als deutscher «Exilkanzler» aus. Doch dass russische Regierungsvertreter mit dem Mann in dieser Funktion Gespräche geführt haben, ist nicht bekannt.
Fakten
Seit Tagen gibt sich ein deutscher Aktivist auf dem Messengerdienst Telegram als Vertreter einer deutschen «Exilregierung» aus. Bei dem Mann handelt es sich um Ralph T. Niemeyer, der als Journalist und Aktivist bekannt geworden ist und bis 2013 mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht verheiratet war. Niemeyer vertritt inzwischen Positionen der sogenannten «Reichsbürger», die die Souveränität Deutschlands bestreiten und dem Staat die Legitimation absprechen.
Zuletzt verbreitete Niemeyer auf Telegram mehrere Aufnahmen von sich auf einem Wirtschaftsforum in der russischen Stadt Wladiwostok. Er ist darauf mit hochrangigen russischen Politikern und Wirtschaftsvertretern zu sehen, darunter Außenminister Sergej Lawrow, Kremlsprecher Dmitri Peskow und Gazprom-Chef Alexej Miller. Niemeyer schreibt dazu, dass er Gespräche für eine angebliche «Exilregierung» geführt habe.
Allerdings ist unklar, in welcher Funktion Niemeyer sich tatsächlich auf dem Forum vorstellte - und ob er gegenüber den russischen Politikern überhaupt als Vertreter der selbsternannten «Exilregierung» auftrat. Beim russischen Staatssender RT gab er in Wladiwostok ein Interview, in dem der Moderator Niemeyer als «Autor, Filmproduzent und Mitglied der deutschen Graswurzel-Demokratie-Partei» bezeichnete. Damit könnte Niemeyers Engagement für die Corona-Protestpartei Die Basis gemeint sein, für die er im vergangenen Jahr erfolglos für den Bundestag kandidiert hatte.
Anknüpfend an die Bilder von Niemeyer mit russischen Politikern kursiert der Screenshot eines angeblichen Tweets der russischen Botschaft in Berlin. Darin heißt es unter dem Nutzernamen «@RusBotschaft»: «Wir freuen uns, dass der [...] Präsident der deutschen Exilregierung, Ralph T. Niemeyer in Wladiwostok erfolgreiche Verhandlungen mit Gazprom und Dmitry Peskov über weitere Gaslieferungen aus Russland geführt hat. Wir wünschen der neuen jungen deutschen Regierung alles Gute.»
Allerdings fehlt jeder Beleg dafür, dass sich die russische Botschaft auf Twitter so geäußert hat. Auf dem Botschaftsaccount gibt es keinen solchen Tweet vom 7. September. Auch in verschiedenen Internetarchiven gibt es keine archivierte Fassung. Auffällig ist, dass im Screenshot der auf Twitter verwendete Verifizierungshaken hinter dem Accountnamen fehlt - ein Hinweis auf eine Manipulation, denn der echte Botschaftsaccount hat diesen Haken. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) schreibt die russische Botschaft: «Wir haben so einen Post nie erstellt.»
Der Account, auf dem der gefälschte Tweet zuerst verbreitet wurde, gibt sich als Ralph T. Niemeyer aus. Es ist aber unklar, ob er ihn tatsächlich selbst betreibt. Der Account wurde erst im September 2022 angelegt und verbreitet zumeist Inhalte, die zuvor bereits in Niemeyers Telegram-Kanal zu finden waren. Ein anderer Twitter-Account unter Niemeyers Namen existiert hingegen bereits seit 2010, ist aber seit mehreren Jahren nicht mehr aktiv.
Über die Bildung einer «deutschen Exilregierung» spricht Niemeyer in Videos schon seit mehreren Monaten. Viele seiner Äußerungen entsprechen denen der sogenannten «Reichsbürger»-Bewegung, die Deutschland nicht für einen souveränen Staat hält. So forderte Niemeyer einige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine einen Friedensvertrag - allerdings zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs.
Teile der Reichsbürgerszene werden von den Behörden als rechtsextrem eingestuft. «Reichsbürger» und auch sogenannte Selbstverwalter sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab. In seinem jüngsten Jahresbericht von 2021 rechnet das Bundesamt für Verfassungsschutz bundesweit etwa 21 000 Menschen zu diesen Gruppen.
(Stand: 9.9.2022)
Links
«Welt»-Bericht über Niemeyer (8.9.2013) (archiviert)
Aufnahme von Niemeyer und Lawrow bei Telegram (7.9.2022) (archiviert)
Aufnahme von Niemeyer und Peskow bei Telegram (7.9.2022) (archiviert)
Aufnahmen von Niemeyer und Miller bei Telegram (7.9.2022) (archiviert)
Ausschnitt aus Interview mit Niemeyer bei RT (archiviert; archiviertes Video)
Bayerische Landesliste von «dieBasis» zur Bundestagswahl 2021 (archiviert)
Twitter-Account der russischen Botschaft in Deutschland (archiviert)
Tweets der russischen Botschaft im «Internet Archive»
Tweets der russischen Botschaft bei «Archive.today»
Twitter-Account unter Niemeyers Namen (archiviert)
Telegram-Kanal von Niemeyer (archiviert)
Älterer Twitter-Account unter Niemeyers Namen (archiviert)
dpa-Faktencheck zu älterer Behauptung von Niemeyer (26.4.2022)
Niemeyer-Video vom 28.3.2022 (archiviert; archiviertes Video)
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