Desinformation
Nachrichten-Fälscher imitieren Medien-Webseiten
5.9.2022, 14:14 (CEST), letztes Update: 9.9.2022, 10:36 (CEST)
Mit einigem Aufwand haben Fälscher die Webseiten bekannter Medien wie «Bild», «Spiegel», «FAZ» oder «Süddeutscher Zeitung» nachgeahmt. Über soziale Netzwerke verbreiten sie nun verschiedene Artikel. Mal geht es darin um den angeblichen Tod eines jungen Radfahrers, mal um die Sanktionen gegen Russland, um die Hilfe für die Ukraine oder künftige Protestaktionen. Was ist von diesen Berichten zu halten? Und wie erkennt man mögliche Fälschungen?
Bewertung
Der angebliche «Bild»-Artikel über einen Jugendlichen, der in Berlin bei ausgeschalteter Straßenbeleuchtung verunglückt sein soll, ist eine komplette Erfindung. Auch Berichte, die vom «Spiegel» und aus der «FAZ» sowie der «SZ» stammen sollen, sind gefälscht. Das bestätigen die betroffenen Medienhäuser. Auch eine Überprüfung der Inhalte zeigt, dass hier Nachrichtenfälscher am Werk waren.
Fakten
Der angeblich verunglückte Radfahrer in Berlin
Die gefälschte Seite mit dem vorgeblichen «Bild»-Artikel enthält Links zur echten «Bild»-Seite, offenbar um die Fälschung zu verschleiern. Sogar das Impressum der «Bild» ist auf der falschen Seite verlinkt. Doch weder der Inhalt des Artikels noch dessen angegebener Urheber stimmen:
- Den Unfall gab es nicht. Die Polizei Berlin teilte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit: «In Berlin ist in diesem Jahr bisher gar kein Jugendlicher bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Einen tödlichen Verkehrsunfall in der Sulzfelder Straße gab es auch nicht.» Zudem gibt es Berlin derzeit keinen Entschluss, die Straßenbeleuchtung in der Nacht auszuschalten.
- Das Material aus dem Video zur gefälschten Nachricht stammt offensichtlich von anderen Unfallmeldungen, die zusammengeschnitten wurden. Bei Minute 0:34 ist ein Polizeiauto zu sehen - mit dem Nummernschild von Hannover. Bei einem Unfall in Berlin ist das eigentlich ausgeschlossen.
- Der Artikel wurde unter der URL «wvw.bild.vip» veröffentlicht. Echte «Bild»-Artikel finden sich unter «www.bild.de».
- Auf bild.de ist der Artikel nicht zu finden, auch nicht, wenn man zur Suche den Namen des angeblichen Autors ergänzt - dieser war zum Zeitpunkt, als die gefälschte Meldung erschienen sein soll, als Kriegsreporter in der Ukraine aktiv. Auffällig ist auch, wie in dem Text die Nachricht mit kommentierenden Sätzen zum Schluss vermischt ist. Der Springer-Verlag teilte der dpa mit, dass es sich eindeutig um eine Fälschung handele.
Der angebliche Aufruf gegen die Ukraine-Hilfe
Gefälscht ist auch ein angeblicher «Spiegel»-Bericht, der sich gegen die deutsche Hilfe für die Ukraine seit der russischen Invasion richtet. Der Link dazu wird in sozialen Netzwerken geteilt. «Während die Regierung ihr gesamtes Budget für die Ukraine ausgibt, trinkt sie Champagner und genießt das Leben», ist in dem Text zu lesen. Dieser stammt jedoch nicht vom «Spiegel», wie der Verlag bestätigt und mehrere Hinweise untermauern.
Der angebliche Kommentar gegen die Sanktionen
Täuschend ähnlich sieht auch die Webseite aus, auf der ein angeblicher Artikel der «FAZ» über die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekriegs zu lesen ist. Hierbei handelt es sich jedoch ebenfalls um eine Fälschung. An mehreren Punkten ist zu erkennen, dass der angebliche «FAZ»-Artikel unseriös ist. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» berichtete selbst über die gefälschten Artikel.
Die angebliche Ankündigung von Massenprotesten
Unter dem Logo der «Süddeutschen Zeitung» wird ein Video verbreitet, das Massenproteste für den Herbst ankündigt. Auch hierbei handelt es sich um eine Fälschung, über die die «SZ» selbst berichtet hat. Die Autoren schreiben: «[Die Videos] sind gefälscht, sie sind prorussische Propaganda.» Die Fälschung lässt sich darüberhinaus an mehreren Hinweisen festmachen:
- Der Beitrag nennt Christian Pagel (SPD) als Bundesinnenminister, tatsächlich ist er aber Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Das Video zeigt zudem veraltete Szenen aus dem Bundestag mit Wolfgang Schäuble (CDU) statt der aktuellen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) auf dem Podium.
- Der Artikel ist weder auf der Website der «Süddeutschen Zeitung» noch im Zusammenhang mit Reuters zu finden. Ein Blick auf die Internetadresse (URL) zeigt: Der vermeintliche «SZ»-Artikel steht nicht auf der offiziellen Webpräsenz «sueddeutsche.de» oder «sz.de», sondern auf der nachgemachten Seite «sueddeutsche.me». Die Endung «.me» ist die Top-Level-Domain von Montenegro.
Teil einer Desinformationskampagne
Nach Recherchen von T-Online und dem ZDF sind die gefälschten Webseiten Teil einer größeren Kampagne pro-russischer Akteure, die gezielt Desinformationen in sozialen Netzwerken und vor allem auf Facebook verbreiten. Es wurden von weiteren deutschen Medien Artikel gefälscht, dazu sollen auch zahlreiche gefälschte Accounts erstellt worden sein, die die Imitationen verbreiten.
Das Bundesinnenministerium ist beunruhigt über die Fälschungen und sagte der dpa: «Wir haben mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass über Fakeaccounts in bestimmten sozialen Medien täuschend echt aussehende, allerdings gefälschte Webauftritte von etablierten Nachrichtenseiten verlinkt werden.»
Hinweis: Dieser Faktencheck wurde am 9.9.2022 um den Absatz zur «SZ» ergänzt.
(Stand: 9.9.2022)
Links
Gefälschte "Bild"-Website (archiviert)(gefälschtes Video archiviert)
Google-Suche nach Artikel (archiviert)
Suche bei bild.de (archiviert)
Suche nach angeblichen Autoren (archiviert)
dpa-Meldung bei Handelsblatt (archiviert)
dpa-Faktencheck zum gefälschten "Spiegel"-Artikel
dpa-Faktencheck zu gefälschtem "FAZ"-Artikel
dpa-Faktencheck zum angeblichen Video auf «SZ»-Seite
«SZ»-Bericht zu der Fälschung (archiviert)
"FAZ"-Berichterstattung zu gefälschten Artikeln (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
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