Pfizer-Daten fehlinterpretiert

Rechenfehler führte zu falscher Zahl von Fehlgeburten

29.08.2022, 22:33 (CEST)

Mit angeblichen Herstellerdaten werden Ängste vor Corona-Impfstoffen geschürt: Zahlreiche Studienteilnehmerinnen sollen Fehlgeburten erlitten haben, heißt es. Doch das geben die Zahlen nicht her.

Nach einem Urteil musste die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA Dokumente zum Zulassungsprozess der Covid-Impfstoffe veröffentlichen. In einem Artikel wird nun behauptet, daraus ginge hervor, dass bis zu 44 Prozent der geimpften Schwangeren eine Fehlgeburt erlitten haben sollen. Auch in den sozialen Netzwerken verbreitet sich die falsche Berechnung.

Bewertung

Die Zahl beruht auf einem Rechenfehler, die Dokumente wurden fehlinterpretiert. Wissenschaftliche Studien finden keine Hinweise darauf, dass die Impfung für Schwangere unsicher ist.

Fakten

Der Facebook-Post verweist auf einen Artikel von «The Florida Standard», einer Online-Zeitung, die sich nach eigener Aussage gegen ein angeblich «überwältigende Präsenz von mitte-links-Medien» in dem Bundesstaat stemmen will. Dieser Artikel wiederum bezieht sich auf einen Artikel, der auf Daily Clout veröffentlicht wurde, einer Website der amerikanischen Autorin und Aktivistin Naomi Wolf.

Sie organisiert über die Internetseite ein Projekt, bei dem Freiwillige Dokumente aus dem Zulassungsprozess des Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer lesen und darüber berichten. Auf Grundlage dieser Dokumente beschloss die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA), den Impfstoff zur Verwendung in den Vereinigten Staaten zuzulassen.

Im Januar 2022 hatte die Organisation Public Health and Medical Professionals for Transparency (PHMPT) vor einem Gericht in Texas die beschleunigte Herausgabe dieser Dokumente durchgesetzt. Seitdem hat die FDA Zehntausende Seiten mit Forschungsergebnissen von Pfizer veröffentlicht. Diese werden unkommentiert in einer Datenbank auf der PHMPT-Website veröffentlicht.

Originalartikel gelöscht

Der Text, auf den sich «The Florida Standard» bezieht, wurde ursprünglich auf Gettr veröffentlicht. Die Twitter-ähnliche Plattform wurde von einem ehemaligen Berater des Ex-US-Präsidenten Donald Trump gegründet. Gettr ist unter anderem bei Vertretern der US-amerikanischen Rechten beliebt.

Anschließend wurde der Artikel auf Daily Clout geteilt. Nach Kritik mehrerer Faktenprüfer wurde der Beitrag von Daily Clout zunächst korrigiert und dann gelöscht. In dem Blogbeitrag war das 3 645-seitige Dokument von Pfizer zum Download bereitgestellt worden, auf das er sich bezog.

Fälle doppelt gezählt

Dieses Dokument sollte demnach zeigen, dass 44 Prozent der schwangeren Frauen in der Zulassungsstudie nach der Impfung mit dem Pfizer/Biontech-Wirkstoff eine Fehlgeburt hatten. Die Rechnung, die dazu führt, ist allerdings willkürlich und fehlerhaft.

Zunächst wird auf eine Liste von 50 anonymisierten Personen am Ende des Pfizer-Dokuments verwiesen. Dies sind die 50 Frauen, die im Zeitraum nach der ersten Impf-Dosis schwanger wurden. Anschließend wird gezählt, wie häufig die Wörter «miscarriage»(Fehlgeburt) oder «spontaneous abortion» (bedeutet in diesem Zusammenhang ebenfalls Fehlgeburt) im gesamten Dokument vorkommen. Laut dem Blogbeitrag erwähnt das Pfizer-Dokument 22-mal Fehlgeburten. Bei 50 Schwangerschaften würden 22 Fehlgeburten tatsächlich 44 Prozent ausmachen.

Das Dokument zählt aber keine 22 Fehlgeburten auf. Es enthält nämlich sowohl eine Liste von Personen, die nach einer Pfizer-Impfung «adverse events» (Symptome zeitlich nach einer Impfung) entwickelten, als auch eine Liste von Personen, die nach der Impfung «serious adverse events» (schwere Symptome zeitlich nach einer Impfung) entwickelten. Die Personen, die eine Fehlgeburt hatten, stehen aber auf beiden Listen. Das Dokument führt also nicht 22, sondern 11 Fehlgeburten auf. Zu dem Schluss kam auch «Nieuwscheckers», ein Faktencheck-Projekt der niederländischen Universität Leiden.

Falsche Berechnung

Es ergibt auch keinen Sinn, 22 oder 11 Fehlgeburten mit der Liste von 50 Frauen zu vergleichen, die nach ihrer ersten Impf-Dosis schwanger wurden. Von den 11 Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, stehen nur drei auf dieser Liste. Diese Liste enthält also gar nicht alle schwangeren Frauen, die an der Studie teilgenommen haben.

Darauf wies auch Jeffrey Morris, Direktor der Abteilung für Biostatistik an der medizinischen Fakultät der Universität von Pennsylvania, gegenüber der Nachrichtenagentur AP hin. Das zitierte Dokument von Pfizer liefert keinerlei Zusammenhang zu den Zahlen. Es sagt nicht aus, wie viele schwangere Frauen insgesamt an der Studie teilgenommen haben und wie viel Prozent von ihnen eine Fehlgeburt erlitten haben.

Sicher steht darin nur, dass drei von fünfzig Frauen auf der Liste der Frauen, die nach ihrer ersten Impfung schwanger wurden, eine Fehlgeburt hatten. Das entspricht sechs Prozent dieser speziellen Gruppe. Diesem Prozentsatz sollte statistisch jedoch nicht allzu viel Wert beigemessen werden. Mit fünfzig Frauen ist die Gruppe zu klein, um daraus allgemeingültige Daten abzuleiten.

Impfstoffe sicher für schwangere Frauen

Es ist nicht erwiesen, dass die oben genannten Fehlgeburten durch den Pfizer-Impfstoff verursacht wurden. Denn nach einer Impfung können auch gesundheitliche Probleme auftreten, ohne dass der Impfstoff die Ursache ist. Auf den Listen von Pfizer stehen etwa auch Dutzende Menschen, die bei Verkehrsunfällen verletzt wurden.

Auch bei keiner der registrierten Fehlgeburten gibt es dem Dokument zufolge einen Zusammenhang mit dem Impfstoff. Etwa 13,5 Prozent aller Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt. Das war das Ergebnis einer groß angelegten Umfrage unter mehr als 600 000 dänischen Frauen zwischen 1978 und 1992. Der wichtigste Faktor scheint dabei das Alter der Mutter zu sein. Bei Frauen über 45 Jahren liegt das Fehlgeburtsrisiko bei fast 75 Prozent.

Studien in renommierten Fachzeitschriften wie dem «Journal of the American Medical Association» oder dem «New England Journal of Medicine» weisen darauf hin, dass das Risiko einer Fehlgeburt bei Schwangeren nicht signifikant ansteigt, wenn sie mit einem zugelassenen Impfstoff gegen Covid-19 geimpft werden.

Aus Daten der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC geht im Gegenteil hervor, dass die Impfung während der Schwangerschaft mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs vermutlich die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung bei Neugeborenen verringert.

(Stand: 29.8.2022)

Links

Artikel im «Florida Standard» (archiviert)

Selbstbeschreibung des «Florida Standard» (archiviert)

Daily Clout-Projekt (archiviert)

US-Zulassungsbehörde FDA (archiviert)

Dokumenten-Plattform PHMPT (archiviert)

Urteil zu Pfizer-Dokumenten (archiviert)

Daily Clout-Blogpost (archiviert)

Dokument von Pfizer (direkter Download)

Artikel der Universität Leiden (archiviert)

Faktencheck von AP (archiviert)

Dänische Studie zu Fehlgeburten (archiviert)

JAMA-Studie (archiviert)

NEJM-Studie (archiviert)

CDC-Studie (archiviert)

Facebook-Post (archiviert)

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