Falscher Zusammenhang

Video der weinenden russischen Touristin entstand vor Krim-Explosionen

31.08.2022, 16:14 (CEST)

Eine weinende Frau im Auto beklagt sich über das Ende ihres Krim-Aufenthalts - angeblich als Folge von Explosionen auf einer russischen Luftwaffenbasis. Doch Details im Video der Frau zeigen: Sie ist schon vorher aufgebrochen.

Im August kam es mehrmals zu Explosionen an Militärstandorten auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Einige Experten gehen davon aus, dass die Ukraine dafür verantwortlich ist. Offiziell bestätigt hat die Regierung in Kiew den Angriff aber nicht. Nach der ersten Explosion am 9. August hat Russland hingegen behauptet, ein Verstoß gegen den Brandschutz sei die Ursache. Daraufhin verbreitete sich in sozialen Medien die Meldung, dass russische Bürger auf der Krim nun fluchtartig die Halbinsel Richtung Russland verlassen. Als Beleg dafür dient oft ein Video einer Frau, die weinend auf dem Rücksitz eines Autos sitzt und sagt, dass es so schön sei auf der Krim und sie nicht wieder nach Hause möchte. «Eine russische Touristin heult, als sie nach den gestrigen Explosionen am russischen Luftwaffenstützpunkt in Sewastopol von der Krim flieht», heißt es in einem Facebook-Beitrag (Fehler im Original). Stimmt das?

Bewertung

Die Szene mit der weinenden Touristin entstand vor den Explosionen auf der Krim am 9. August. Der Schluss, sie habe ihren Urlaub deswegen abgebrochen, ist also falsch. Das ergab eine Analyse des Faktencheck-Teams der Deutschen Presse-Agentur (dpa) von Orten und Uhrzeiten im Video.

Fakten

Die Behauptung über die weinende Russin verbreitet sich vor allem in Form von Screenshots oder einem etwa eineinhalb Minuten langen Clip. Auch viele internationale Medien haben das Video aufgegriffen.

Das Originalvideo, das etwas mehr als zehn Minuten lang ist, stammt von einer russischen Familie. Hochgeladen haben sie es auf ihren Accounts auf den Videoplattformen Youtube und Yandex Zen jeweils am 9. August 2022 - auf Youtube um 19.21 Uhr (Ortszeit auf der Krim).

Die Explosionen auf der Krim - die angeblich zum Abbruch des Urlaubs jener russischen Touristen geführt haben sollen - ereigneten sich ebenfalls am 9. August. Einer Recherche der «Washington Post» zufolge gab es mehrere Explosionen zwischen 15.20 und 16.11 Uhr Ortszeit. Auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass nennt diese Uhrzeit der ersten Explosionen.

Schon hier wird deutlich: Es liegen nur drei bis vier Stunden zwischen den Explosionen und dem Hochlade-Zeitpunkt des zehn Minuten langen Videos, in dem mehrere Szenen aneinander geschnittenen wurden. Es erscheint wenig plausibel, dass eine mutmaßlich hastig aufgebrochene Familie noch mitten auf der Fahrt ein solches Video bearbeitet und veröffentlicht.

Weitere Fakten bestätigen diese These: Das Faktencheck-Team der dpa hat den Ort lokalisiert, an dem die Szene mit der weinenden Frau im Auto aufgenommen wurde, und den Aufnahmezeitpunkt anhand des Sonnenstands bestimmt.

Das Video muss am späten Vormittag oder in der frühen Mittagszeit entstanden sein - also vor der ersten Explosion um 15.20 Uhr. Als die Frau weint, steht die Familie mit ihrem Auto im Badeort Aluschta an der südlichen Schwarzmeerküste der Krim. Die Perkopskaya-Straße, auf der sie stehen, führt nach Nordwesten. In den Kartendiensten Yandex Maps und Google Maps sind ein Schild, die Läden, der Baum und der Bordstein aus dem Video erkennbar.

Das Auto fährt also in Richtung Nordwesten. Der Schatten einer Fensterstrebe fällt ebenfalls nach Norden oder Nordwesten. Dementsprechend steht die Sonne im Süden oder Südosten. Die Aufnahme stammt also vom späten Vormittag oder aus der frühen Mittagszeit. Zwar lässt sich die Uhrzeit nicht exakt bestimmen: Der kleine Videoausschnitt kann zu kleineren Mess-Ungenauigkeiten führen. Es ist aber ausgeschlossen, dass es am Nachmittag entstand. Wäre die Familie nach den Explosionen aufgebrochen, würde die Sonne also an diesem Ort deutlich andere Schatten werfen.

Zum Zeitpunkt später Vormittag oder kurz vor Mittag passt außerdem, dass die Familie im zehnminütigen Video selbst Zeitangaben nennt. «Wir hätten früher am Morgen losfahren sollen. Aber wir sind erst um elf losgefahren», sagt die Frau bei Minute 4:33. Kurz zuvor sagt ein Mann: «Woher kommen hier die Staus? Das verstehe ich nicht.»

Im Video selbst ist mehrfach auch die Uhrzeit, die das Auto anzeigt, zu sehen. Um 12:42 Uhr laut Autouhr ist die Familie am Ortseingang von Simferopol (Minute 02:30). Sie passiert dort einen Schriftzug mit dem Namen der Stadt. Um 16.15 Uhr stoppt sie dann an einem Ort, der sich etwa fünf Kilometer vor der Brücke von Kertsch befindet (Minute 1:30 und ab 8:05, Szene taucht zweimal auf). Die Brücke verbindet die annektierte Krim im Osten mit dem russischen Festland. Damit wäre die Familie zum Zeitpunkt der Explosionen schon drei bis vier Stunden unterwegs gewesen.

Womöglich hat die Familie sogar schon vor dem 9. August die Krim verlassen. Dieser Tag war ein Dienstag. In einem Kommentar auf der Videoplattform Yandex Zen schreibt der Account-Inhaber, sie seien «am Samstag» losgefahren. Die dpa hat die Familie per Mail kontaktiert, um nachzufragen, allerdings keine Antwort erhalten.

Das Video der weinenden Touristin wurde also fälschlicherweise mit den Explosionen auf der Krim in Verbindung gebracht.

(Stand: 30.8.2022)

Links

Tweet mit Kurzversion des Videos (archiviert)

Video in voller Länge auf Youtube (archiviert)

Video in voller Länge auf Yandex Zen (archiviert)

Artikel der «Washington Post» mit zeitlichen Angaben zu den Explosionen auf der Krim (archiviert)

Artikel der russischen Staatsagentur Tass über die Explosionen (archiviert)

Ansicht des Standorts des Autos in Aluschta im Kartendienst Yandex (archiviert)

Ansicht des Standorts des Autos in Aluschta bei Google Maps (archiviert)

Ansicht des Simferopol-Schriftzuges im Kartendienst Yandex (archiviert)

Ansicht des Kontrollpunkts vor der Brücke von Kertsch im Kartendienst Google Maps (archiviert)

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

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