Dürre
Der Bodensee war 1540 seicht, aber nicht ausgetrocknet
24.8.2022, 16:27 (CEST)
Seit Jahren häufen sich die Wetterextreme - einzelne heiße Sommer und Dürreperioden gab es jedoch auch schon vor langer Zeit. Solche historischen Vergleiche werden immer wieder genutzt, um den Klimawandel zu verharmlosen. So soll angeblich im Jahr 1540 der 251 Meter tiefe Bodensee ausgetrocknet gewesen sein, würde «Meteo Schweiz» melden, wird auf Facebook behauptet. Stimmt das?
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Der Wasserstand im Bodensee fiel im Jahr 1540 zwar stark, ausgetrocknet war er auch damals jedoch nicht. Ein einzelnes Wetterereignis kann verschiedene Ursachen haben und ist kein Grund, den Klimawandel infrage zu stellen. Bestimmte Wetterlagen werden laut Prognosen durch die Klimaerwärmung häufiger und intensiver auftreten.
Fakten
Quelle für die Behauptung zur Dürre im 16. Jahrhundert soll MeteoSchweiz sein. Es handelt sich dabei um das eidgenössische Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie - vergleichbar mit dem Deutschen Wetterdienst. Doch MeteoSchweiz widerspricht gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: Die Meldung stamme nicht aus dem Amt.
Barbara Galliker von MeteoSchweiz erklärte, dass selbst mehrere aufeinanderfolgende sehr trockene Jahre nicht ausreichen würden, um den mehr als 250 Meter tiefen Bodensee vollständig austrocknen zu lassen. Dafür benötige es laut ihrem Kollegen Stephan Bader einer jahrelangen vollständigen Umstellung des Klimasystems, etwa das Abschmelzen aller Gletscher.
Im Jahr 1540 war ganz Europa allerdings von einer extremen Trockenheit betroffen. Für eine Studie der Universität Bern untersuchten Forscher mehr als 300 historische Dokumente aus mehreren europäischen Staaten. Im Gebiet der heutigen Schweiz regnete es demnach damals zwischen Februar und September 1540 kaum.
Chroniken berichten über extrem niedrige Pegelstände der großen Gewässer. Auch der Bodensee, der drittgrößte Binnensee Mitteleuropas, war davon betroffen. Im August 1540 sank der Wasserpegel so tief, dass der hügelige Seeboden fast an der Oberfläche auftauchte.
Die Insel Lindau konnte damals umwandert werden. Rund um die Insel ist der Bodensee etwa zwei bis sechs Meter tief. Der am Tiefpunkt rund 250 Meter tiefe See trocknete aber nicht vollständig aus. Das Schweizerische Nationalmuseum hat dazu einen ausführlichen Blogeintrag veröffentlicht.
Unterschied zwischen Wetter und Klima
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) erklärt auf seiner Website den Unterschied zwischen Wetter und Klima. Wetter bezieht sich dabei auf ein Ereignis an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, während Klima sich mit den Wetterereignissen über einen längeren Zeitraum mitunter auf einem größeren Gebiet befasst. Das Problem des Sharepics auf Facebook ist, dass die Zusammenhänge verkürzt werden. In dem geteilten Bild wird anhand eines einzelnen Wetterereignisses versucht, die Klimaerwärmung zu widerlegen.
Laut dem Umweltbundesamt können einzelne Extremwetterereignisse nicht einfach und direkt der anthropogenen - also menschengemachten - Klimaveränderung zugeordnet werden. Denn entsprechende Wetterlagen können bei bestimmten Faktoren auf natürliche Weise entstehen. Treten hingegen Extremwetterereignisse über einen bestimmten Zeitraum häufiger auf, kann dies ein Nachweis dafür sein, dass sich das Klima verändert hat.
Niedrigwasser ist grundsätzlich eine natürliche Folge von Wetterereignissen und somit von Witterung und Jahreszeit geprägt. Insbesondere längere Trockenperioden können zu niedrigen Wasserständen in Flüssen führen. Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren weist darauf hin, dass der Klimawandel nie die einzige Ursache eines Extremereignisses ist. Zudem nehme im Zuge der globalen Erwärmung nicht jedes mögliche Extremwetterereignis zu, sondern nur bestimmte.
Laut DWD ist von 1881 bis 2021 das Jahresmittel der Lufttemperatur in Deutschland gesichert um 1,6 Grad gestiegen. Auch markante Hitzeperioden oder Trockentage, vor allem im Sommer, haben demnach zugenommen. Dies wirkt sich wiederum auf die Wasserkreisläufe aus - beispielsweise bei der Verdunstung von Wasser - und kann in der Folge jene Niedrigwasserereignisse begünstigen. Auch nach Angaben der Helmholtz-Klima-Initiative werden Hitze- und Dürrephasen in Zukunft wahrscheinlicher.
Prognosen: Klimawandel könnte zu mehr Niedrigwasserereignissen führen
Das Umweltbundesamt gibt in seiner «Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland» eine Prognose ab. So hätten mehrere Forschungsprojekte Hinweise geliefert, dass Niedrigwassersituationen unter den Bedingungen des zukünftigen Klimawandels häufiger und intensiver werden könnten, heißt es darin. Laut einer Analyse des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2020 werden Niedrigwasserereignisse dort intensiver, «wo schon heute Sommer und Herbst die typische Niedrigwassersaison bilden».
Die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) schreibt in einem Hinweisblatt mit Antworten auf häufig gestellte Fragen, dass die aktuelle Häufung von Niedrigwassersituationen noch zur «natürlichen Variabilität» gehöre. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts seien zudem noch keine wesentlichen Änderungen im Niedrigwasser-Abflussverhalten zu erwarten. Allerdings zeige sich bereits eine Verstärkung der Niedrigwasserereignisse durch vom Klimawandel erhöhte Verdunstung und damit einhergehenden Wasserverlusten in allen Jahreszeiten. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist laut BfG an den meisten betrachteten Pegeln mit einer deutlichen Zunahme von Niedrigwassersituationen zu rechnen.
(Stand: 23.8.2022)
Links
Aufgaben MeteoSchweiz (archiviert)
Allgemeine Infos über des Deutschen Wetterdienst (archiviert)
Climatic Change: Studie der Universität Bern über die Dürre von 1540, 28.06.2014 (archiviert)
Interaktive Anzeige der Wassertiefen im Bodensee
IGKB: Der Bodensee (archiviert)
Nationalmuseum über Hitze 1540 (archiviert)
Deutscher Wetterdienst über den Begriff Wetter (archiviert)
Deutscher Wetterdienst über den Begriff Klima (archiviert)
Umweltbundesamt zum Unterschied zwischen Klimawandel und Einzelereignis (archiviert)
Umweltbundesamt über Niedrigwasser (archiviert)
Helmholtz-Klima-Initiative über Zusammenhang von Extremwetter und Klimawandel (archiviert)
Deutscher Wetterdienst über Klimaveränderung in Deutschland (archiviert)
Umweltbundesamt: «Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland» (archiviert)
Verkehrsministerium zur Auswirkung des Klimawandels auf Verkehr und Infrastruktur (archiviert)
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