Keine Fälschung
dpa-Fotograf nahm Regenbogenflagge vor Kanzleramt auf
25.7.2022, 19:58 (CEST), letztes Update: 27.7.2022, 18:11 (CEST)
Hunderttausende Menschen haben am Samstag (23. Juli 2022) mit einer großen Partyparade den Christopher Street Day (CSD) in Berlin gefeiert. Aus Solidarität mit der queeren Community wurde vor dem Bundeskanzleramt die Regenbogenflagge gehisst, um ein Zeichen für Toleranz und gesellschaftliche Vielfalt zu setzen. Die Bebilderung eines ZDF-Berichts über die Beflaggung führte zu Aufregung in den sozialen Netzwerken.
Aufgrund der Fahnenbewegung, die auf dem Foto zu sehen ist, wird dem ZDF eine Manipulation des Fotos vorgeworfen. «Photoshop beherrscht man beim ZDF! Jeder Wind weht anders...», schreibt ein Facebook-User dazu (archiviert). Andere Beiträge deuten eine vermeintliche Bearbeitung des Fotos nur an - wie dieser inzwischen gelöschte Tweet: «Physikalisches Wunder oder Photoshop? Zwei Flaggen hängen schlapp, nur eine flattert im starken Wind.»
Bewertung
Die Vorwürfe der Bildmanipulation sind falsch. Bei dem Bild handelt es sich um ein Original-Foto, dass so von einem Fotografen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) aufgenommen wurde - nicht von einem ZDF-Mitarbeiter. Unabhängig von der dpa existieren ein weiteres Foto sowie ein Video, die das gleiche Motiv beziehungsweise eine ähnliche Flaggenbewegung zeigen.
Fakten
Der Facebook-Post und der Tweet beziehen sich auf einen Bericht des ZDF vom 23. Juli 2022 zum CSD in Berlin. In dem Bericht ist auch das angeblich manipulierte Foto zu sehen. Als Fotoquelle ist jedoch kein Fotograf des ZDF, sondern ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur angegeben.
Froben Homburger, Nachrichtenchef der dpa in der Berliner Zentralredaktion, hat am Montag (25. Juli 2022) via Twitter auf die Vorwürfe reagiert: «Es handelt sich um eines von mehreren Original-Fotomotiven aus dem @dpa-Bildfunk zur Regenbogenflagge vor dem Kanzleramt (und dem Reichstag). Selbstverständlich manipuliert dpa keine Bilder.»
Dazu verwies Homburger auf ein Video eines anderen Twitter-Nutzers, das die Bewegung der Flaggen vor dem Kanzleramt aus einer anderen Perspektive zeigt. Wer der Urheber des Videos ist, blieb zunächst unklar. Der Vorwurf sei ohne Rückfrage beim ZDF oder der dpa in die Welt gesetzt worden, hieß es beim Mediendienst Meedia.
Unabhängig von der dpa existiert ein weiteres Foto der Beflaggung, dass dem dpa-Motiv stark ähnelt: Für die Bildagentur IMAGO hat laut Bildnachweis der Fotograf Christian Spicker den Moment am 23. Juli 2022 festgehalten. Darin ist ebenfalls wie auch auf dem dpa-Motiv zu sehen, dass die Regenbogenfahne im Wind weht - während die schwarz-rot-goldene Deutschland- sowie die blaue EU-Flagge vergleichsweise schlapp gen Boden hängen.
Die Beispiele zeigen, dass die Regenbogenflagge nicht nachträglich in das Foto eingebaut oder retuschiert wurde. Das Motiv zeigt vielmehr eine reale Momentaufnahme der Beflaggung vor dem Kanzleramt.
Handelt es sich also um ein «physikalisches Wunder»? Das lässt sich letztlich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit beantworten. Eine mögliche und plausible Erklärung für das Fahnenverhalten könnte jedoch das Wetter an jenem Samstag liefern. Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramtes, und Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, hissten die Regenbogenflagge am Samstagvormittag. Auf einem von Schmidt sowie der Bundesregierung verbreiteten Foto sind noch Pfützen vor dem Kanzleramt zum Zeitpunkt des Hissens zu sehen.
Auf der Website timeanddate.de, auf der historische Wetterdaten dokumentiert sind, liefert eine Suche für Berlin am 23. Juli 2022 folgende Ergebnisse: Gegen 6:50 Uhr sowie um 8:20 Uhr und 8:50 Uhr regnete es in Berlin. Auch auf kachelmannwetter.com sowie beim Deutschen Wetterdienst (DWD) sind Niederschlagsmeldungen für Berlin am Samstagmorgen zu finden.
Es könnte daher gut sein, dass sich die Deutschland- und die EU-Fahne je nach Material und Beschaffenheit aufgrund des Regens mit Wasser vollgesogen haben und verklebt waren. Während die Regenbogenflagge im trockenen Zustand aufgehängt wurde, hätte es wegen der Gewichtszunahme durch das Wasser mehr Wind benötigt, damit auch die beiden anderen Flaggen in der Luft flattern.
Eine Suche nach Bildern des Bundeskanzleramtes in Berlin ergibt viele Fotos, die bei ähnlicher Perspektive stets eine Europa- und eine Deutschlandfahne am linken und mittleren Mast zeigen. Während diese beiden Flaggen dort offensichtlich dauerhaft hängen, wird der rechte Mast je nach Ereignis anders beflaggt - am besagten Samstag eben mit der frischen Regenbogenflagge.
Auf dpa-Nachfrage bestätigte eine Regierungssprecherin, dass die Deutschland- und die EU-Flagge dauerhaft vor dem Kanzleramt zu sehen sind. Die Regenbogen-Flagge wurde laut der Sprecherin hingegen im trockenen Zustand gegen 10:15 Uhr am 23. Juli gehisst - im Austausch zu einer Flagge mit dem Logo der deutschen G7-Präsidentschaft.
(Stand: 25.7.2022 / Update: 27.7.2022)
Dieser Text wurde am 27.7.2022 mit Antworten des Bundespresseamts sowie weiteren Wetterdaten ergänzt.
Hinweis: Die Nachrichtenagentur dpa, die auch den dpa-Bildfunk betreibt, ist die Muttergesellschaft der dpa-infocom, die diesen Faktencheck recherchiert und veröffentlicht hat.
Links
ZDF-Bericht über den CSD in Berlin vom 23. Juli 2022 (archiviert)
Tweet von Froben Homburger vom 25. Juli 2022 (archiviert)
Tweet mit Video der Flaggenbewegung aus anderer Perpektive (archiviert / archiviertes Video)
Mediendienst Meedia (archiviert)
IMAGO-Foto vom 23. Juli 2022 (archiviert)
Tweet von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt vom 23. Juli 2022 (archiviert)
Mitteilung über das Hissen der Regenbogenflagge vom 23. Juli 2022 (archiviert)
Wetterdaten für Berlin auf timeanddate.de
Wetterdaten für Berlin auf kachelmannwetter.com (archiviert)
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