Irreführender Vergleich

Klimawandel führt zu mehr Hitzetagen

22.7.2022, 14:13 (CEST)

Deutschland schwitzt und Berichte über die extremen Temperaturen in Europa häufen sich. Klimawandel-Leugner verweisen nun auf Hitzetage in der Vergangenheit - doch ihr Argument ist schwach.

Ist die Berichterstattung über die derzeitige Hitzewelle reine Panikmache? Das jedenfalls suggerieren einige Facebook-Posts (zum Beispiel hier - archiviert). Sie zeigen eine Foto-Collage, wonach hohe Temperaturen im Juni und Juli nicht ungewöhnlich sind. Grundlage dafür ist ein Artikel aus dem Jahr 1957 der «Bild am Sonntag» mit dem Titel «56 Grad! Ganz Deutschland ein Brutofen!». Die österreichische Zeitung «Krone» titelte im Juni 2022 hingegen: «Temperaturen um die 35 Grad, das hat es früher nicht gegeben».

Bewertung

Ein Gegenüberstellen der beiden Artikel ist irreführend. Der Juni in Österreich war überdurchschnittlich heiß, während die 56 Grad in Deutschland für offizielle Aufzeichnungen irrelevant sind – die Temperatur wurde damals in einer Bahnhofsuhr gemessen. Einzelne heiße Tage in der Vergangenheit widerlegen darüber hinaus nicht die Existenz des Klimawandels.

Fakten

Die irreführende Schlagzeile zur 56-Grad-Messung, über die die «Bild»-Zeitung vor mehr als 60 Jahren berichtete, kursiert bereits seit geraumer Zeit im Internet. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) konnte in einem älteren Faktencheck belegen, dass der Wert im Inneren einer Bahnhofsuhr gemessen wurde und somit keinen brauchbaren Wert für die Klimadaten darstellt. Tatsächlich lag die Temperatur an besagtem Tag in allen deutschen Städten unter 40 Grad.

Außerdem wird ein Artikel vom Juni 2022 der österreichischen «Kronen Zeitung» herangezogen. Der Meteorologe Klaus Reingruber spricht darin über die bisherigen Temperaturen, den kommenden Sommer und Wetterextreme. Ihn überrasche es, dass es «so schnell gleich so heiß ist». Auf die Frage, ob es kein normales Wetter mehr gebe, antwortet er: «Es ist schon so, dass Temperaturen um 34 oder 35 Grad ungewöhnlich sind, das hat es früher nicht gegeben.»

Offensichtlich bezog sich Reingruber dabei auf den Juni – in diesem Monat fand das Interview statt. Das erklärte er auch den Faktencheckern von Correctiv. Sein Eindruck stimmt mit den Ansichten anderer Experten überein. «Die Zahl der Hitzetage hat sich im Juni in den letzten Jahrzehnten in den tiefen Lagen Österreichs verdoppelt bis vervierfacht. Der Juni 2022 lag aber nochmals deutlich über dem ohnehin schon hohen Niveau der letzten 30 Jahre», so Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Von einem Hitzetag sprechen Meteorologen, wenn mindestens 30 Grad gemessen werden.

Im Durchschnitt wird die 30-Grad-Marke in Österreich anderthalb Wochen früher geknackt als im Zeitraum von 1961 bis 1990. Auch gibt es insgesamt mehr Hitzetage. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik kommt deshalb zum Schluss: «Was früher ein Rekord war, ist heute Durchschnitt.» Konkret heißt das: Von 1961 bis 1990 gab es in Österreichs Städten pro Jahr fünf bis elf Tage mit mindestens 30 Grad. Inzwischen gibt es in einem durchschnittlichen Jahr zwischen 16 und 22 Hitzetage.

Und wie sieht es in Deutschland aus?

Natürlich gab es bereits vor Jahrzehnten einzelne heiße Tage. Eine Grafik des Deutschen Wetterdienstes zeigt aber, dass ungewöhnliche Temperaturen im Juni und Juli über die vergangenen Jahre deutlich zugenommen haben. Auch über je ein gesamtes Jahr betrachtet, ist der Anstieg der Temperatur von 1881 bis 2021 deutlich zu erkennen. In Berlin verzeichnen Wetterexperten von 1990 bis 2019 im Schnitt 11,5 Hitzetage pro Jahr (über 30 Grad Celsius), während es in den Jahren zuvor noch 6,5 Hitzetage waren.

Zurückzuführen sind diese Entwicklungen auf den Klimawandel. Der Klimatologe Karsten Friedrich erklärt im Interview der Deutschen Presse-Agentur: «Bei einem kontinuierlichen Klima würden selten neue Rekorde auftreten.» Die Datenlage des Deutschen Wetter-Dienstes, die der dpa vorliegt, zeigt jedoch: Generell sind die Temperaturen höher als früher, zugleich werden die Rekorde in immer kürzeren Abständen wieder gebrochen. Auch das Umweltbundesamt kommt zum Schluss: «Der Klimawandel führt nachweislich vermehrt zu extremer Hitze am Tag.»

Die «World Weather Attribution»-Initiative hat mit Hilfe von Simulationen auf Basis von Beobachtungsreihen und Klimamodellen untersucht, wie der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen verändert hat. Sie kommen zum Ergebnis, dass die Temperaturen ohne den Klimawandel 1,5 bis 3 Grad Celsius kühler gewesen wären. Ohne den Klimawandel würden derartige Hitzeperioden höchstens alle 1000 Jahre auftreten.

Die Deutsche Presse-Agentur veröffentlichte bereits mehrere Faktenchecks rund um den Klimawandel. So ist beispielsweise auch die Behauptung falsch, dass nicht der Mensch, sondern Sonnenzyklen für die Klimaerwärmung verantwortlich seien. Die Vereinten Nationen schreiben auf ihrer Website eindeutig, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas die Hauptursache für die Veränderung des Klimas ist.

(Stand: 22.07.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

«Kronen»-Artikel(archiviert)

Faktencheck zum «Bild»-Artikel (archiviert)

30 Grad in Österreich früher erreicht (archiviert)

Hitzetage in Österreich (archiviert)

Ungewöhnlich heißer Juni in Österreich (archiviert)

Temperaturanomalien Juli (archiviert)

Temperaturanomalien Juni (archiviert)

Temperaturanomalien im Jahr (archiviert)

Anstieg Hitzetage in Deutschland (archiviert)

Umweltbundesamt (archiviert)

Vereinte Nationen zu Klimawandel (archiviert)

Liste: Heiße Tage in Deutschland (archiviert)

World Weather Attribution (archiviert)

Correctiv-Artikel (archiviert)

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