Erdgas

Auch Deutschland kauft weiter bei Putin

22.07.2022, 13:53 (CEST)

Kritiker der deutschen Russland-Politik behaupten, wir ruinierten unsere Wirtschaft - während andere weiter Geschäfte mit Putin machten. Doch der Lieferstopp beim Erdgas hatte technische Gründe.

Über die Pipeline Nordstream 1 floss eine Zeit lang kein russisches Erdgas nach Deutschland - weil sie wie jedes Jahr im Sommer gewartet wurde. Bereits zuvor kam deutlich weniger durch die Leitungen in Deutschland an. In einer Textkachel (archiviert), die in den sozialen Netzwerken verbreitet und bei Whatsapp verschickt wird, taucht die Frage auf, ob die Deutschen «die einzigen Deppen» seien, die «sich ruinieren». Aufgezählt werden davor die Gasgeschäfte, die diverse andere Länder angeblich mit Russland machen.

Bewertung

Der Vergleich hinkt an vielen Stellen. Deutschland bezieht mehr Gas aus Russland als jedes andere europäische Land. Nur zwischenzeitlich floss wegen Wartungsarbeiten nichts durch die Pipelines. China und Indien haben ihre Importe zwar deutlich erhöht. Es stimmt aber nicht, dass Indien das Gas zurück nach Deutschland verkauft.

Fakten

Dass Deutschland seit einiger Zeit weniger und zwischenzeitlich überhaupt kein Gas aus Russland bezogen hat, lag nicht an politischen Entscheidungen hierzulande. Die deutsche Regierung will dem jetzigen Stand nach weiter Gas aus Russland kaufen, die EU hat Erdgas bislang noch nicht sanktioniert.

Am 14. Juni hatte der russische Energiekonzern Gazprom mitgeteilt, die über die Pipeline Nord Stream 1 transportierte Gasmenge müsse reduziert werden. Russland begründet dies mit dem Fehlen einer Turbine, die aufgrund von Sanktionen zwischenzeitlich in Kanada festgehalten, dann aber freigegeben wurde. Unklar ist, wo die Turbine derzeit ist. Die Bundesregierung spricht von einem «vorgeschobenem Argument», Gazprom habe genügend Turbinen.

Dass Deutschland zwischenzeitlich überhaupt kein russisches Gas über die Pipeline Nord Stream 1 bezogen hat, lag an Wartungsarbeiten. Sie werden immer im Sommer durchgeführt, jedes Jahr fließt dann für einige Wochen kein Gas mehr. Zwischenzeitlich gab es Befürchtungen, Gazprom könne den Betrieb nicht wieder aufnehmen. Seit dem 21. Juli kommt wieder Gas aus Russland an. Wie vor dem zehntägigen Stopp war der Durchfluss aber auf etwa 40 Prozent der Kapazität beschränkt.

Deutschland bezieht also weiter Erdgas aus Russland, nicht anders als die anderen europäischen Länder, die in der Kachel aufgeführt werden. Zahlen zur Menge in Kubikmetern sind nur bis April verfügbar. In dem Monat waren es der EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge etwas mehr als 4,8 Milliarden Kubikmeter, die nach Deutschland flossen. 40 Prozent davon sind also etwa 1,9 Milliarden Kubikmeter.

63 Millionen Kubikmeter hatte Italiens mit Abstand größter Öl- und Gasversorger ENI einem Bericht der BBC zufolge in Russland bestellt - und zwar täglich. Das ergibt rund 1,9 Milliarden Kubikmeter im Monat. Allerdings berichtet ENI, es würden seit kurzem nur noch 21 Millionen Kubikmeter am Tag geliefert. Das wären zwischen 630 und 651 Millionen Kubikmeter im Monat. Selbst wenn man andere, kleinere Importeure einbezieht, dürfte Italien also deutlich weniger Gas aus Russland importieren als Deutschland.

Spanien importiert einem Bericht des Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg zufolge tatsächlich aus Russland mehr Gas als je zuvor. Das Land sei jetzt mit einem Energiewert von 8752 Gigawattstunden (GWH) pro Monat der zweitgrößte Lieferant Spaniens. Hintergrund ist demnach ein Streit mit Algerien, einem bis dahin sehr wichtigen Gaslieferanten. Die Zahl findet sich auch in einem Bericht des spanischen Pipeline-Betreibers ENAGAS.

Deutschland hingegen hat einer Grafik der Bundesnetzagentur zufolge vor der Reduktion durch Gazprom im Mai jeden Tag Gas mit einem Energiewert von ungefähr 2500 GWH importiert, danach immerhin noch für ungefähr 900 GWH. Letzteres ist mit ungefähr 27 000 GWH monatlich immer noch deutlich mehr als Spanien nun bezieht.

Einige Pipelines leiten trotz des Kriegs weiter Gas aus Russland durch die Ukraine nach Europa. Das lässt sich auf der Seite des ukrainischen Betreibers des Transit-Systems nachlesen. Für diesen Transit bezieht das Land auch weiterhin Gebühren.

Indien und China machen tatsächlich deutlich mehr Gasgeschäfte mit Russland als noch vor kurzem: China hat sein Abkommen darüber aber bereits vor Kriegsbeginn abgeschlossen, die Deutsche Presse-Agentur dpa berichtete am 4. Februar. Die indischen Gasimporte Russland haben sich im Mai im Vergleich zum Vorjahr vervielfacht. Es gibt aber keinerlei Belege dafür, dass das Land wiederum Erdgas nach Deutschland oder Europa exportiert - das wäre auch ungewöhnlich, da Indien einem Energie-Analysten zufolge zumindest bis 2020 überhaupt kein Gas ausgeführt hat.

(Stand: 22.7.2022)

Links

Textkachel bei Facebook (archiviert)

Überblick über die Russland-Sanktionen beim Europäischen Rat (archiviert)

Gazprom-Tweet zu fehlender Turbine (archiviert)

Gazprom-Tweet zu fehlenden Papieren (archiviert)

Bundesnetzagentur zu Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 (archiviert)

Eurostat zu deutschen Gasimporten (nicht archivierbar)

BBC zu italienischen Gaskäufen aus Russland (archiviert)

ENI zu verringerten Gaslieferungen aus Russland (archiviert)

Bloomberg-Bericht zu spanischen Gaskäufen aus Russland (archiviert)

ENAGAS-Bericht mit Zahlen zu Gasimporten (archiviert)

Grafik der Bundesnetzagentur zu Gasimporten aus Russland (archiviert)

Ukrainische Transitgesellschaft über transportierte Gasmengen (archiviert)

dpa-Bericht zu Energieabkommen zwischen Russland und China (archiviert)

Business Standard zu Ölimporten von China und Indien (archiviert)

Analysefirma CEIC zu indischen Energieexporten (archiviert)

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