Billigung von Straftaten

Aus diesen Gründen wird gegen Alina Lipp ermittelt

03.08.2022, 11:26 (CEST), letztes Update: 03.08.2022, 11:38 (CEST)

Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gegen die Aktivistin Alina Lipp. In sozialen Netzwerken werden dazu Beiträge verbreitet, denen wichtiger Kontext fehlt. Um diese Aspekte geht es in dem Fall.

Die pro-russische Aktivistin Alina Lipp steht aktuell im Fokus der deutschen Justizbehörden. Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat Ermittlungen gegen die Youtuberin aufgenommen - und das löst in den sozialen Medien Aufregung aus. Im Netz wird deshalb der Vorwurf erhoben, der mittlerweile nach Russland ausgewanderten Lipp könnten bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe in Deutschland drohen, weil sie zum Ukraine-Krieg eine «andere Meinung vertritt als die deutsche Bundesregierung». In einigen Facebook-Beiträgen wird dazu auch ein Blogbeitrag verlinkt.

Bewertung

Es stimmt, dass gegen Alina Lipp ermittelt wird. Dabei geht es jedoch nicht um eine bloße Meinungsäußerung, sondern die Staatsanwaltschaft wirft ihr die Billigung von Straftaten nach § 140 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) vor. In einer Vielzahl von Fällen soll Lipp demnach den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gutgeheißen haben, der laut der Staatsanwaltschaft ein Verbrechen der Aggression nach § 13 Absatz 1 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) darstellt. Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es in diesem Fall allerdings kein Urteil gegen die 28-Jährige. Daher gilt für Lipp die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen wurde.

Fakten

Zu den zentralen Grundrechten in Deutschland gehören die Meinungs- und die Pressefreiheit. Diese sind in Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) fest verankert. Allerdings heißt das nicht, dass deshalb jede Person sagen, schreiben oder veröffentlichen kann, was sie will. Denn bereits in Absatz 2 werden die Meinungs- und die Pressefreiheit eingeschränkt: «Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.»

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Göttingen seien bestimmte Äußerungen von Alina Lipp nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, erklärte ein Sprecher auf dpa-Nachfrage. Wie «t-online» berichtete, hatte es seit Februar mehrere Strafanzeigen gegen die gebürtige Hamburgerin gegeben. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft Lüneburg zunächst die Ermittlungen aufgenommen, da Lipp zuletzt im dortigen Bezirk gemeldet war. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Göttingen die Ermittlungen übernommen, da dort die für ganz Niedersachsen zuständige Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet (ZHIN) ansässig ist.

Was genau wird Alina Lipp vorgeworfen?

Bei den Ermittlungen geht es konkret um den Vorwurf der Billigung von Straftaten nach § 140 Nr. 2 StGB in einer Vielzahl von Fällen. Laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft soll Lipp sich über ihre öffentlichen Social-Media-Accounts immer wieder mit dem am 24. Februar 2022 begonnenen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine solidarisiert und diesen gutgeheißen haben. Dieser stelle ein Verbrechen der Aggression nach § 13 Abs. 1 VStGB dar.

Beispielhaft nennt der Sprecher zwei Beiträge aus Lipps Telegram-Kanal «Neues aus Russland», dem mehr als 180.000 Abonnenten folgen: Am Tag des Kriegsbeginns soll die 28-Jährige die Nachricht «Die Denazifikation hat begonnen» gepostet haben. Dazu habe sie in einem Video mitgeteilt, dass die Bevölkerung ihre «Befreiung» und die Russen feiere. Zudem soll sie gesagt haben, dass Ukrainer seit Jahren die russische Bevölkerung töteten und dies nun dank des russischen Einmarschs ein Ende habe. Am 12. März 2022 habe Lipp außerdem in einem Video behauptet, dass die Ukrainer einen Genozid ausführten und die russische Armee die davon betroffenen Regionen nun befreie. Es handelt sich um jene Narrative, die auch von der russischen Regierung zur Rechtfertigung des Angriffskrieges benutzt werden.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sind Lipps Äußerungen dazu geeignet, das Vertrauen in das demokratischen Systems insgesamt zu erschüttern und die Stimmung in Deutschland aufzuhetzen. Mit ihren verzerrenden und teils wahrheitswidrigen Darstellungen säe die Youtuberin Zweifel an der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung in Deutschland. Das sei der 28-Jährigen auch bewusst beziehungsweise nehme Lipp dies billigend in Kauf, da sich ihre Beiträge gezielt an ein deutsches Publikum richten, argumentiert die Staatsanwaltschaft.

Wie ist der Stand der Ermittlungen?

Im Rahmen der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft etwa 1600 Euro beschlagnahmt. Bei dem sichergestellten Geld soll es sich um Spenden handeln, mit denen Alina Lipp ihre Aktivität in den sozialen Medien finanziere. Darüber hatte auch «t-online» berichtet. Lipp hat über ihren Verteidiger Beschwerde gegen die Beschlagnahmung eingelegt, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Nun muss sich das Landgericht Lüneburg mit der Rechtmäßigkeit der Geld-Sicherstellung beschäftigen. «Nach Vorliegen der Beschwerdeentscheidung wird über den weiteren Gang des Verfahrens entschieden», so der Sprecher.

Sollte Alina Lipp letztendlich wegen der Billigung von Straftaten nach § 140 Nr. 2 StGB verurteilt werden, ist tatsächlich eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe möglich. Allerdings liegt gegen Alina Lipp im Zusammenhang mit den Ermittlungen bisher kein solches Urteil vor. Daher gilt auch für die 28-Jährige weiterhin die Unschuldsvermutung nach § 6 Nr. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Lipp bezeichnet sich als «Friedensjournalistin» - Was sagt der DJV?

Unterdessen bezeichnet sich die pro-russische Aktivistin auf ihrem öffentlichen Instagram-Account selbst als «Friedensjournalistin». In einem Beitrag in ihrem Telegram-Kanal geht sie auf die Ermittlungen ein und behauptet, sie sei eine «unabhängige Journalistin». Zudem spricht sie von einer «parteiischen Justiz». In dem verlinkten «Anti-Spiegel»-Blogbeitrag der Facebook-Beträge wird zudem angedeutet, dass die Ermittlungen die Pressefreiheit in Deutschland bedrohen könnte.

Ein Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) erklärt auf dpa-Nachfrage, dass die Berufsbezeichnung «Journalist*in» nicht geschützt ist. Es komme daher immer wieder vor, dass sich Propagandisten und Demagogen Journalist nennen, ohne journalistisch zu arbeiten. «Das ist auch bei Alina Lipp der Fall. Ihre Beiträge über den Ukraine-Krieg sind kein unabhängiger und kritischer Journalismus, sondern Kreml-Propaganda in Reinform», sagt DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Wenn sie mit ihren Posts gegen deutsche Gesetze verstoße, seien Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zwingend.

Zörner weist zudem auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Propaganda und Journalismus hin: «Propaganda ist interessengeleitet und hat das Ziel, die Politik und die Aktivitäten eines Herrschers oder einer Regierung in höchsten Tönen zu loben». Journalismus hingegen wolle aufklären und müsse mindestens zwei Seiten beleuchten. «Journalistinnen und Journalisten dürfen bei ihren Recherchen niemals der Propaganda auf den Leim gehen. Sonst werden sie ungewollt zu Verstärkern von Propaganda.»

(Stand: 2.8.2022)

Links

Hintergrund von «t-online» zur deutschen Aktivistin Alina Lipp (archiviert)

Facebook-Post (archiviert)

Facebook-Post 2 (archiviert)

Beitrag auf «Anti-Spiegel» zu den Ermittlungen gegen Alina Lipp (archiviert)

Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) (archiviert)

Bericht von «t-online» über Ermittlungen gegen Alina Lipp (archiviert)

§ 140 im Strafgesetzbuch (StGB) (archiviert)

§ 13 im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) (archiviert)

Bericht von «Deutschlandfunk» über russische Narrative und Desinformation (archiviert)

§ 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (archiviert)

Beschreibung auf Instagram-Account von Alina Lipp (archiviert)

Alina Lipp zu den Ermittlungen in ihrem Telegram-Kanal - archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.