Unbedenkliche Gestik
Lauterbach-Foto ist Momentaufnahme einer ausgedehnten Handbewegung
24.6.2022, 15:40 (CEST)
Symbole oder Bilder, Parolen, Uniformstücke, Lieder oder Grußformen, die das Nazi-Regime glorifizieren, sind in Deutschland verboten. Dazu gehört auch der sogenannte Hitlergruß. Den soll nun ausgerechnet ein hochrangiger deutscher Politiker gezeigt haben: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Das wird ihm unter anderem auf Facebook (archiviert) vorgeworfen, häufig mit einem Foto als angeblichen Beweis.
Bewertung
Die Momentaufnahme entstand während einer Rede Lauterbachs. Ein Hitlergruß ist in der ausführlichen Video-Sequenz nicht zu sehen, stattdessen gestikuliert Lauterbach abwechselnd mit beiden Armen. Kurz nachdem er den rechten Arm anhob, wurde ein Screenshot aufgenommen.
Fakten
Am 22. Juni fand am Rande der Gesundheitsministerkonferenz in Magdeburg eine «ver.di»-Kundgebung mit etwa 300 Arbeitskräften aus der Pflege-Branche statt. Lauterbach war ebenfalls vor Ort und wandte sich persönlich an die Demonstrierenden. Seine Rede lässt sich auf dem YouTube-Kanal von «n-tv» nachverfolgen und wurde auch auf der «n-tv»-Website publiziert. Von dort fand das Video seinen Weg zu Twitter und Facebook.
Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt des Videos von Minute 00:38. Bei YouTube ist die angebliche Hitlergruß-Szene schon ab dem Timecode 0:35 zu sehen. Doch das Foto zeigt nur eine Momentaufnahme, es fehlt der Kontext.
Bezieht man die Sekunden davor ein und lässt das Video im Anschluss weiterlaufen, erkennt man: Lauterbach gestikuliert während seiner Rede stark und hebt beide Arme abwechselnd auf Augenbrauenhöhe. Dabei winkelt er den Arm jeweils immer wieder leicht in Körperrichtung an, um ihn im Anschluss kurz zu strecken. Etwa zwei Sekunden nachdem der Screenshot aufgenommen wurde, spreizt Lauterbach im Bewegt-Bild zudem seine Finger. Als Hitlergruß kann dieser Bewegungsablauf nicht gewertet werden.
Stattdessen will er mit der Gestik die Demonstrierenden offenbar optisch in zwei Gruppen teilen. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit ebenfalls anwesenden Impfgegnern. Das geht aus dem Inhalt seiner Ansprache hervor.
Mit dem rechten Arm deutet er dankend auf diejenigen, «die in den letzten zwei Jahren in der Pflege dafür gesorgt haben, dass die Menschen, die krank geworden sind, überlebt haben, dass wir durch die Pandemie gekommen sind in einer Art und Weise, wie es vielen anderen Ländern nicht gelungen ist». Der gestreckte linke Arm gilt hingegen allen, «die hier gegen die Impfung protestieren» und während der Corona-Pandemie keinen Beitrag geleistet haben.
Begleitet werden seine Worte von einem lauten Pfeif-Konzert. Zu seinen Äußerungen sagte Lauterbach später in einem «Deutschlandfunk»-Interview (ab 07:18), er habe es bei «den Emotionen der Lage nicht für angemessen gehalten, dass die Impfgegner, die mir ja überall begegnen – eine sehr kleine Gruppe… lautstark die Demonstration der Pflegekräfte gekapert hat und dort die Demonstration und auch die Anliegen der Pflegekräfte sabotiert hat.»
Hätte Lauterbach am Tag der «ver.di»-Kundgebung tatsächlich einen Hitlergruß gezeigt, wäre er sicher in diesem Interview darauf angesprochen worden. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass der Screenshot lediglich einen falschen Eindruck erwecken soll.
(Stand: 24.06.2022)
Links
Facebook-Post mit Foto (archiviert)
Video bei Twitter (archiviert hier und hier)
«MDR»-Artikel über Kundgebung (archiviert)
«n-tv»-Video bei YouTube (archiviert)
«Deutschlandfunk»-Interview (archiviert hier und hier)
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