Kriegsgewalt in der Ukraine

Vergewaltigungsfälle durch russische Soldaten sind dokumentiert

16.6.2022, 17:26 (CEST), letztes Update: 17.6.2022, 11:02 (CEST)

Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte wurde entlassen. Aus der Meldung konstruiert ein Blog die Falschbehauptung, es habe keine Fälle von Vergewaltigungen durch russische Soldaten gegeben.

Über Vergewaltigungen durch russische Soldaten während des Angriffskriegs in der Ukraine wurde schon mehrfach berichtet. In verschiedenen Ländern gab es deshalb auch Demonstrationen vor russischen Botschaften. In einem auf Facebook (archiviert) geteiltem Blog-Eintrag wird nun behauptet, die Regierung in der Ukraine habe selbst eingestanden, alle Meldungen über Vergewaltigungen durch russische Soldaten wären «frei erfunden»; es gebe keinen einzigen bestätigten Fall.

Bewertung

Medien und Menschenrechtsorganisationen haben mehrere Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch durch russische Soldaten dokumentiert. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Behauptung die Ukraine habe eingestanden, dass es keine Vergewaltigungsfälle gegeben habe, ist nicht belegt. Im Gegenteil: Die Generalstaatsanwältin der Ukraine sagte Ende Mai, dass ein erster Vergewaltigungsfall gegen einen russischen Soldaten bei Gericht eingereicht worden sei.

Fakten

Im Blog-Artikel heißt es fälschlicherweise, Ljudmyla Denisowa, die ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte, sei vom ukrainischen Parlament entlassen worden, weil sie «zu viel gelogen» habe. Sie habe sich alle Meldungen aus der Ukraine über Vergewaltigungen durch russische Soldaten ausgedacht.  

Richtig ist, dass Denisowa am 31. Mai durch das ukrainische Parlament entlassen wurde. Als Hauptgrund wurde jedoch der Vorwurf genannt, sie habe sich nicht ausreichend um ihre Pflichten zur humanitären Arbeit während des Krieges gekümmert und zu viel Zeit im Ausland verbracht. Der Parlamentarier Pavlo Frolov warf ihr außerdem vor, sie habe taktlose und nicht belegbare Aussagen über angebliche russische Sexualdelikte gemacht und der Ukraine damit geschadet.

Denisowa rechtfertigte sich in einem Interview mit der ukrainischen Nachrichtenseite LB.ua damit, dass sie gemäß ihrem Mandat gar nicht das Recht habe, selbst Ermittlungen durchzuführen. «Ich kümmere mich um die Opfer, das heißt, ich schütze die Bürger und ich informiere darüber.» Sie räumte ein, dass das von ihr verwendete Vokabular «sehr harsch» gewesen sei, «in der Tat, vielleicht habe ich übertrieben.»

Sie habe versucht, die Welt davon zu überzeugen, Waffen bereitzustellen und Druck auf Russland auszuüben. Daraus folgt aber nicht, dass es keine Vergewaltigungsfälle gegeben habe. Tatsächlich sind zahlreiche Fälle dokumentiert.

Die Leiterin der UN-Beobachtermission für Menschenrechte in der Ukraine, Matilda Bogner, sagte in einer Pressekonferenz Anfang Mai, dass die Mission weiterhin Meldungen zu «Vergewaltigungen, einschließlich Gruppenvergewaltigung, versuchter Vergewaltigung, erzwungener Nacktheit und Androhung sexueller Gewalt gegen zivile Frauen und Mädchen, Männer und Jungen» erhalte. Frauen und Mädchen seien am häufigsten betroffen. Bei ihrem jüngsten Besuch in Städten nördlich von Kiew seien eine Reihe von Fällen sexueller Gewalt dokumentiert worden.

Opfer sexueller Gewalt sowie ihre Familien und Freunde würden wegen der Stigmatisierung zögern, darüber zu sprechen. Mit der Zeit werde das Ausmaß dieser Übergriffe deutlicher werden, so Bogner. Auch andere Experten gehen davon aus, dass aus diesem Grund generell bei sexueller Kriegsgewalt mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist.

Mit Stand vom 3. Juni, lagen dem UN-Beobachtungsteam des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) Berichte über 124 mutmaßliche Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt gegen Frauen, Mädchen, Männer und Jungen in verschiedenen ukrainischen Städten und Regionen vor.

Laut einem Bericht der Washington Post vom 8. Juni hat die UN-Beobachtermission bereits damit begonnen, diese Meldungen zu belegen. Demnach konnten von den 124 eingegangenen Vorwürfen zu konfliktbezogener sexueller Gewalt, 24 bestätigt werden - 12 davon betrafen russische Streitkräfte oder mit ihnen verbundene Gruppen, fünf betrafen ukrainische Streitkräfte und sieben betrafen nicht identifizierte Personen in von der Ukraine kontrolliertem Gebiet.

Weitere 44 Vorwürfe seien nicht verifizierbar gewesen und acht seien falsch oder höchst unwahrscheinlich gewesen. Weitere 48 Vorwürfe würden noch untersucht. Dies sei nur die «Spitze des Eisbergs», so Pramila Patten, die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, laut dem Bericht.

Auch andere Medien und Menschenrechtsorganisationen haben Fälle sexueller Gewalt durch russische Soldaten dokumentiert. Darunter: die New York Times, die BBC, die britische Times, die Deutsche Welle, Sky News, und das russische Internetportal Meduza, sowie Amnesty International und Human Rights Watch.

Bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022, gab es Berichte über Vergewaltigungen durch russische Streitkräfte in der Ostukraine. Dort sind russische Truppen bereits seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 aktiv.

(Stand: 16.6.2022)

Links

Tweet der Generalstaatsanwältin zu Vergewaltigungsfall (archiviert)

Deutsche Welle Artikel zur Entlassung Denisowas (archiviert

Kommentar zu Denisowas Entlassung auf Frolovs Facebook-Seite (archiviert

LB.ua Interview mit Denisowa (archiviert

Pressekonferenz der Leiterin der UN-Beobachtermission (archiviert)

Deutschlandfunk-Artikel zu sexualisierter Gewalt im Krieg (archiviert)

Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu sexualisierter Gewalt in der Ukraine (archiviert)

Bericht der Washington Post zu Vergewaltigungen in der Ukraine (archiviert)

New York Times Artikel zu Folter, Vergewaltigung und Exekutionen in Butscha (archiviert

BBC Bericht zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten (archiviert)

Times Bericht zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten (archiviert

Deutsche Welle Bericht zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten (archiviert)

Sky News Bericht zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten (archiviert)

Meduza Bericht zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten (archiviert)

Human Rights Watch Bericht zu Menschenrechtsverletzungen (archiviert)

Amnesty International Bericht zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen (archiviert)

Datensatz zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten (archiviert)

Blog-Eintrag mit Falschbehauptung (archiviert)

Facebook-Post mit Falschbehauptung (archiviert)

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