Definition missverstanden
FDA-Dokument enthält bekannte Infos über Impf-Nebenwirkungen
15.6.2022, 16:14 (CEST)
Wenn Impfstoffe in seltenen Fällen unerwünschte Nebenwirkungen auslösen, dann treten diese zeitnah nach der Impfung auf. Was im Volksmund oft unter Langzeitfolgen verstanden wird - dass eine Substanz erst lange nach der Einnahme noch neue Schäden im Körper bewirkt - ist bei Impfungen nicht bekannt. Dennoch hält sich der Mythos angeblich möglicher Langzeitschäden der Corona-Impfung hartnäckig - und wird durch Falschinformationen immer wieder befeuert. In einem Blogbeitrag wird derzeit behauptet, die US-Arzneimittelbehörde FDA «räumt Langzeitschäden von COVID-19 Impfstoffen ein». Angeblich soll das aus einem neuen FDA-Dokument hervorgehen. Ist da etwas dran?
Bewertung
Das FDA-Dokument enthält keine neuen Informationen. Die Erkenntnisse über Folgen der sehr seltenen Nebenwirkung einer Herzmuskelentzündung nach Corona-Impfung wurden bereits in mehreren Medienberichten oder offiziellen Handreichungen mitgeteilt.
Fakten
Ein Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde FDA hat am 7. Juni eine Notfallzulassung für den Coronavirus-Impfstoff Novavax empfohlen. Zu diesem Anlass hat die FDA auch jenes Dokument veröffentlicht, auf das sich der Blogbeitrag bezieht. Die Handreichung fasst den Stand des Wissens über Novavax zusammen.
Es handelt sich bei Novavax um ein proteinbasiertes Impfserum - dieses wurde also mit einer anderen Technologie hergestellt als die bisher zugelassenen mRNA-Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna sowie die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson.
Im FDA-Dokument wird zu Novavax' Antrag auf Zulassung erläutert, welche Daten über Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes vorliegen. Das ist - anders als es im nun kursierenden Blogbeitrag mit einem «man soll es nicht glauben» suggeriert wird - das übliche Vorgehen im Zulassungsprozess.
Weil eine Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung (Myokarditis und Perikarditis) schon länger als sehr seltene Nebenwirkung der mRNA-Impfung gegen Covid-19 bekannt ist, befasst sich auch das FDA-Dokument zu Novavax damit. In Bezug auf die mRNA-Impfung heißt es dort: «Zur Verfügung stehende Daten aus kurzfristiger Beobachtung deuten darauf hin, dass sich die Symptome bei den meisten Individuen auflösten, obwohl noch keine Informationen zu möglichen langfristigen Folgeschäden zur Verfügung stehen.» Aus diesem Satz wurde das vermeintliche «Einräumen» von Langzeitschäden der Covid-Impfung konstruiert.
Doch hier wird etwas falsch verstanden. Langzeitfolgen kann zwei Dinge bedeuten: «Etwas, das erst nach langer Zeit eintritt, oder etwas, das über einen langen Zeitraum anhält», schreibt das Paul-Ehrlich-Institut, was in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, auf seiner Webseite.
Nebenwirkungen, die erst lange Zeit nach einer Impfung eintreten, sind Expertinnen und Experten nicht bekannt, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auch in mehreren Faktenchecks beschrieben hat. Treten Nebenwirkungen auf, dann wenige Tage oder Wochen nach der Impfung. Besonders wenn innerhalb kurzer Zeit eine sehr große Zahl an Menschen geimpft wird, wie bei der Covid-Impfkampagne, fallen so auch seltene Nebenwirkungen auf, die nur sehr wenige Menschen betreffen - wie die Myokarditis.
In den meisten Fällen heilt sie vollständig aus. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass in schweren Einzelfällen Beeinträchtigungen bleiben. Wie oft das geschieht, ist noch nicht ausreichend erforscht - nichts anderes steht im FDA-Dokument. Auch in Medienberichten der «Deutschen Welle», von «Correctiv» oder in Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts oder der Deutschen Stiftung für Herzforschung wird auf dieses Verhältnis hingewiesen.
Das FDA-Dokument befasst sich auch mit Fällen von Herzmuskelentzündungen nach Impfung mit dem Proteinimpfstoff Novavax, eben weil diese sehr seltene Nebenwirkung auch bei mRNA-Impfungen gegen Covid-19 bekannt ist.
In vier Fällen, bei denen Geimpfte nach der Novavax-Impfung eine Herzmuskelentzündung bekamen, hält der Bericht einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Impfstoff für plausibel. In allen vier Fällen haben sich die Patienten vollständig erholt. In zwei Fällen werden andere Ursachen für plausibel gehalten, ein Zusammenhang zur Impfung aber nicht ganz ausgeschlossen.
Weil die wenigen Fälle von Herzmuskelentzündung nach Novavax-Impfung bereits während der klinischen Tests aufgefallen sind, hat die FDA Bedenken, dass Herzmuskelentzündungen bei Novavax häufiger vorkommen könnten als nach einer mRNA-Impfung. Denn dort fielen sie erst nach der Zulassung auf, als eine viel größere Zahl an Menschen geimpft worden war als während der Zulassungsstudie.
Dennoch ist es irreführend und übertrieben zu behaupten, es gebe die Angst, dass «eine große Zahl junger Männer an Myokarditis erkrankt». Nach wie vor handelt es sich um eine seltene Nebenwirkung und in dem FDA-Dokument ist nie die Rede von einer «großen Zahl».
Eine Herzmuskelentzündung kann im Übrigen auch nach Infektionen mit dem Coronavirus auftreten - sogar deutlich häufiger als nach Impfungen.
(Stand: 14.6.2022)
Links
dpa-Meldung über FDA-Empfehlung für Novavax (archiviert)
Handreichung der FDA zu Daten über Novavax (archiviert)
Information der Europäischen Arzneimittelbehörde über Zulassungsverfahren (archiviert)
Informationen der Deutschen Herzstiftung über die Impf-Nebenwirkung Herzmuskelentzündung (archiviert)
Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts über Langzeitfolgen (archiviert)
Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts über die Impf-Nebenwirkung Herzmuskelentzündung (archiviert)
«Deutsche Welle» über Falschbehauptungen zu Langzeitfolgen (archiviert)
«Correctiv» über Falschbehauptungen zu Langzeitfolgen (archiviert)
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