Weltwirtschaftsforum in Davos

Habeck-Aussagen wurden aus dem Kontext gerissen und verdreht

10.6.2022, 14:54 (CEST)

Facebook-User behaupten: Robert Habeck würde eher Menschen verhungern lassen, als Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Doch die Davos-Rede des Vizekanzlers ging in eine völlig andere Richtung.

Auf Facebook kursieren Videos, die Robert Habeck im Gespräch bei einer Veranstaltung auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos zeigen. In den Beiträgen wird dazu behauptet, der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz würde bei einer drohenden Hungersnot lieber Menschen verhungern lassen, als die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Das sollen die übersetzten Aussagen in den Videos belegen (archiviert).

Bewertung

In den Videos sind die Aussagen von Habeck aus dem Kontext gerissen und verdreht worden. Der Bundesminister sagte, er könne sich vorstellen, dass Russland bei einer Hungerkrise 100 000 Tote in Kauf nehmen würde, um von den kriegsbedingten Sanktionen loszukommen. Auch die Übersetzungen in den verbreiteten Videos sind irreführend und teilweise falsch.

Fakten

Die kursierenden Videos zeigen nur einen Ausschnitt der Diskussion zum Thema «Energy Outlook: Overcoming the Crisis» in Davos. Laut dem Programm hat diese am 23. Mai 2022 stattgefunden. Die gesamte Veranstaltung wurde vom Weltwirtschaftsforum aufgezeichnet. Zudem ist ein Video der Gesprächsrunde auf dem Youtube-Kanal von Business Today TV India zu finden. Zu den teilnehmenden Experten aus Politik und Wirtschaft gehörte unter anderem Robert Habeck. In den 10 Minuten zu Beginn der Aufzeichnung ist zu sehen, dass der Vizekanzler als erster Gast seine Einschätzung zur derzeitigen politischen Lage abgibt - darunter ist auch die aus dem Kontext gerissene Aussage, die in den Videos verbreitet wird.

Der Minister warnt in seinem Redebeitrag vor einem globalen Wirtschaftsabschwung. Das griffen deutsche Medien bei der Berichterstattung auf, wie beispielsweise die Welt oder n-tv. Habeck spricht von vier miteinander verbundene Krisen, mit denen man es gegenwärtig zu tun habe: einer hohen Inflation in mehreren Ländern, einer Energiekrise, zunehmendem Lebensmittelmangel sowie einer Klimakrise. Man könne diese Probleme nicht lösen, wenn man sich nur auf ein Problem konzentriere. Löst man aber keines der Probleme, dann sorge sich der Politiker vor einer weltweiten Rezession und den Auswirkungen auf die globale politische Stabilität.

An dieser Stelle sollen die Videoausschnitte, die weiteren Aussagen Habecks sowie die korrekte Übersetzung zeigen. Im englischen Original-Ton ist jedoch zu hören, dass Habeck versucht den Zusammenhang seiner vorherigen Äußerungen zu verdeutlichen: Eine Hungerkrise allein wäre schrecklich genug. Denke man aber an die möglichen Dynamiken, die entstehen könnten, wenn in einigen Ländern die Menschen wirklich verhungern, dann würde bei dieser Krise auch die globale politische Stabilität eine Rolle spielen.

Der Minister ergänzt demnach, dass es für die meisten Länder unvorstellbar sei, 100 000 Hungertode in Kauf zu nehmen, nur um Sanktionen vom eigenen Land abzuwenden. Angesichts des russischen Angriffskrieges, sagt Habeck, könnte er sich ein solches Verhalten bei Russland jedoch vorstellen. Er spielt damit offenbar auf den Konflikt um die Blockade von ukrainischen Häfen durch Russland an. Die Ukraine und Russland zählen zu den größten Getreideexporteuren der Welt.

Auf dpa-Nachfrage bestätigt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz diese Einordnung und übermittelte eine ähnliche Übersetzung. «Minister Habeck hat in dieser Aussage die Perspektive des russischen Regimes eingenommen, um dessen Brutalität aufzuzeigen», teilt eine Sprecherin mit. Die Worte Habecks müssten wie folgt übersetzt werden: «Ich denke, für die meisten Ihrer Länder und für mein Land wäre es unvorstellbar, dass wir sagen: "Okay, vielleicht sind 100 000 Leben verloren, aber ich komme dafür von den Sanktionen los." Das ist für uns unvorstellbar, aber für die Russen ist es möglich, denke ich.»

Hinter dem Agieren Russland stecke laut dem Ministerium ein Erpressungsversuch, zunächst eine Hungerkrise auszulösen, um sich anschließend als Retter dazustellen. Russlands Präsident Wladimir Putin setze durch die Blockade der Getreideexporte aus der Ukraine, die insbesondere für ärmere Länder in Afrika überlebensnotwendig seien, unzählige Leben aufs Spiel, um von den Sanktionen erlöst zu werden.

(Stand: 8.6.2022)

Links

Facebook-Posting 1 (archiviert)

Facebook-Posting 2 (archiviert / archiviertes Video)

Programm des Weltwirtschaftsforums vom 23.05.2022 (archiviert)

Youtube-Video der WEF-Diskussion «Energy Outlook: Overcoming the Crisis» (archivierte Youtube-Seite / archiviertes Video)

welt-Bericht vom 23. Mai 2022 über Habecks Redebeitrag in Davos (archiviert)

ntv-Bericht vom 23. Mai 2022 über Habecks Redebeitrag in Davos (archiviert)

tagesschau-Bericht vom 13.5.2022 über die Hafen-Blockade (archiviert)

Bericht auf Our World in Data über die Rolle von Russland und Ukraine bei Lebensmittelexport vom 24. März 2022 (archiviert)

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