Deutschland ist ein souveräner Staat - Grundgesetz ist die deutsche Verfassung

02.05.2022, 12:34 (CEST)

Ein kurzes Video mit einem emotionalen Statement macht die Runde in den sozialen Netzwerken (archiviert). Darin sagt ein Mann, Deutschland sei «ein Staatsfragment, und bis ihr keine Verfassung vom Volk gewählt habt, seid ihr besetzt.» Als Beleg verweist er auf eine angebliche Aussage von Carlo Schmid, der einst am Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mitwirkte. In den begleitenden Sätzen auf Facebook heißt es: «Die Schweizer wissen, dass Deutschland besetzt ist, es keine Verfassung gibt...»

Bewertung

Die Aussagen des Mannes in dem Video sind falsch. Deutschland ist ein souveräner Staat, hat eine Verfassung und ist nicht besetzt.

Fakten

Das Video stammt aus dem Jahr 2017 und wurde bei einer verschwörungsideologischen Konferenz im bayerischen Landkreis Berchtesgadener Land aufgenommen. Es spricht ein Mann, der sich als Schweizer Staatsbürger vorstellt. Er wendet sich an die deutschen Diskussionsteilnehmer auf dem Podium und sagt unter anderem: «Entschuldigung, ich bin kein "Reichsbürger". Aber das ist ein Staatsfragment - und bis ihr keine Verfassung vom Volk gewählt habt, seid ihr besetzt.» Zuhörer applaudieren und jubeln daraufhin.

Doch die Ausführungen des Mannes sind falsch. Es handelt sich um eine vor allem von Verschwörungstheoretikern und sogenannten Reichsbürgern verbreitete Lüge. Letztere bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Unter ihnen herrscht der Glaube vor, das Deutsche Reich, also der deutsche Nationalstaat in den Jahren 1871 bis 1945, bestehe stattdessen fort. Eng damit verknüpft ist die Überzeugung, dass Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein von den Alliierten besetztes Land sei und das Grundgesetz keine gültige Verfassung darstelle.

Fachleute haben diese Mythen schon lange aus der Welt geräumt. So schreiben etwa die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags: «Der am 15. März 1991 in Kraft getretene Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 markiert den Schlusspunkt der schrittweisen Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.»

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag regelte im Zuge der Vereinigung der damals beiden deutschen Staaten die Außenpolitik der neuen Bundesrepublik mit den Alliierten. In Artikel 7 heißt es ausdrücklich: «Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes.»

Damit endete der Sonderstatus Deutschlands, der seit 1945 in einer Art internationaler Vormundschaft durch die vier Siegermächte bestanden hatte. Die Bezeichnung «Grundgesetz» wurde nach der Wiedervereinigung für die Verfassung Deutschlands beibehalten. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu: «Ein anderes Wort für Grundgesetz ist Verfassung.»

Das Zitat im in den sozialen Netzwerken verbreiteten Video («Aber was hat denn der Carlo Schmid gesagt? "Es geht hier nicht um die Gründung eines Staates."») steht dazu nicht im Widerspruch. Carlo Schmid wirkte in den Jahren 1948 und 1949 im Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit. Den Schmid zugeschriebenen Wortlaut gibt es nicht, in einer Rede im Jahr 1948 sagte er jedoch: «Wir haben nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten. Wir haben etwas zu schaffen, das uns die Möglichkeit gibt, gewisser Verhältnisse Herr zu werden.»

Schmid begriff das Grundgesetz tatsächlich als ein Provisorium, da die Sowjetische Besatzungszone - die spätere DDR - nicht einbezogen wurde. Erst seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist das Grundgesetz die Verfassung der gesamten Bundesrepublik, also auch der ostdeutschen Bundesländer. Damals entschied man sich dagegen, für das wiedervereinigte Deutschland eine komplett neue Verfassung zu entwerfen.

Teile der Reichsbürgerszene werden von den Behörden als rechtsextrem eingestuft. «Reichsbürger» und auch sogenannten Selbstverwalter sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab. In seinem jüngsten Jahresbericht von 2020 rechnet der Verfassungsschutz bundesweit etwa 20 000 Menschen zu diesen Gruppen.

(Stand: 28.4.2022)

Links

Quelle des Video-Ausschnitts aus dem Jahr 2017 (archiviert)

Verfassungsschutz u.a. über «Reichsbürger» (archiviert)

Wissenschaftliche Dienste des Bundestags u.a. über Zwei-plus-Vier-Vertrag (2016) (archiviert)

Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990/91 (archiviert)

Bundesverfassungsgericht über das Grundgesetz (archiviert)

Informationen zu Carlo Schmid (archiviert)

Rede von Schmid aus dem Jahr 1948 (archiviert)

Teil des Redetexts (PDF-Download) (archiviert)

Weitere Informationen zur Haltung Schmids (archiviert)

Informationen zu Grundgesetz und Wiedervereinigung 1990 (archiviert)

Verfassungsschutzbericht 2020 (archiviert)

Beitrag auf Telegram (archiviert; archiviertes Video)

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