Biden hat nicht gedroht, Russland ins 19. Jahrhundert zurückzuversetzen

26.04.2022, 18:42 (CEST)

Die USA haben den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine scharf verurteilt, Sanktionen verhängt und die Ukraine seither auch mit Waffenlieferungen unterstützt. Einige Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken (archiviert) sehen die Vereinigten Staaten sogar in einem direkten Konflikt mit Russland. So habe US-Präsident Joe Biden etwa «Wir werden Russland in das 19. Jahrhundert zurück setzen» gesagt; oder auch: «Wir vertreiben Russland wieder ins 19. Jahrhundert». Dazu wird eine Karte gezeigt, die die westlichen Grenzen Russlands in diesem Jahrhundert zeigen soll - mit deutlich größerem Gebiet als derzeit. Aber hat Biden sich so geäußert?

Bewertung

Dafür gibt es keinerlei Belege. Die Beiträge geben wohl eine Aussage aus einer Rede Bidens falsch wieder: Er hat keine solche Drohung formuliert, sondern lediglich einen Vorwurf gegen Russlands Präsidenten erhoben. Zudem ist die behauptete Datierung der Karte ungenau.

Fakten

Es gibt tatsächlich eine Äußerung von Joe Biden anlässlich des Kriegs in der Ukraine, in der er auf Russland im 19. Jahrhundert eingeht. Vermutlich geht das falsche Zitat darauf zurück. Allerdings droht er dort nicht, das Land in diese Zeit «zurückzuversetzen». Vielmehr sagte Biden am 26. März bei einer Rede in der polnischen Hauptstadt Warschau: «Wladimir Putins Aggression hat Sie, die russische Bevölkerung, von der übrigen Welt abgeschnitten, und sie führt Russland zurück ins 19. Jahrhundert.»

Der Redetext ist unter anderem von der US-Botschaft in Deutschland dokumentiert worden. Die Passage ist auch in einem Mitschnitt klar zu hören. Den auch in hier archivierten Instagram-Beiträgen behaupteten Wortlaut der angeblichen Ankündigung oder Drohung («Wir werden...», «Wir vertreiben...») gibt es hingegen nicht.

Zu der falschen Biden-Aussage verbreiten Nutzerinnen und Nutzer eine historische Karte von Osteuropa. Darauf seien - so wird behauptet - die Grenzen Russlands im 19. Jahrhundert zu sehen. Teile des heutigen Polens, das Baltikum, Moldau, Belarus, die Ukraine und auch Finnland sind auf dieser Karte russisch sowie die heutigen Kaukasus-Staaten Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Gebiete der heutigen Türkei. Auch die Gebiete der heutigen zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan sind auf der Karte russisch.

Allerdings stimmt die Datierung dieser Karte nicht ganz. Zu sehen ist das russische Zarenreich in seiner Ausdehnung im Jahr 1914, also unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs im 20. Jahrhundert - wie ein Blick auf die für die Postings verwendete Originalkarte zeigt.

Diese Ausdehnung entspricht zwar in weiten Teilen jener am Ende des 19. Jahrhunderts. Allerdings haben sich die Ausdehnung des Reichs und der Einflussbereich der russischen Zaren zwischen 1800 und 1900 immer wieder verändert. Einige der auf der Karte als russisch markierten Gebiete gerieten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Herrschaftsbereich der Zaren.

Zudem ist der Vergleich des Russischen Reichs mit heutigen Nationalstaaten irreführend. Finnland etwa war im 19. Jahrhundert als Großfürstentum zwar Teil des Russischen Reichs, genoss aber Autonomie - mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Ähnlich verhielt es sich mit polnischen Gebieten, die ab dem Wiener Kongress im Jahr 1815 zunächst als russisch kontrolliertes Kongresspolen existierten und erst später direkter Teil des Zarenreichs wurden. Begleitet wurde die Ausdehnung des Russischen Reichs zumeist von einer Politik der «Russifizierung», die jedoch oft in Konflikt mit dem damals aufkommenden Nationalismus in Osteuropa geriet.

(Stand: 26.4.2022)

Links

Auf Deutsch übersetzter Redetext von Biden (archiviert)

Vollständige Biden-Rede auf Youtube (archiviert)

Quelle der Karte mit Datierung auf das Jahr 1914 (archiviert)

Informationen zur Geschichte Finnlands (archiviert)

Informationen u.a. zu Kongresspolen (archiviert)

Hintergründe zur «Russifizierung» in Polen (archiviert)

Beitrag auf Instagram (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

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