Raketen-Seriennummer von Kramatorsk-Angriff hat keine Aussagekraft über Herkunftsland

14.4.2022, 17:32 (CEST)

Eine Zahl auf den Überresten der Rakete wird als vermeintlicher Beleg hervorgeholt: Moskau und prorussische Aktivisten wollen Kiew die Schuld am verheerenden Angriff im ostukrainischen Kramatorsk am 8. April 2022 geben. Nach der Attacke auf den Bahnhof mit mindestens 50 Toten soll die Rakete anhand der Seriennummer als Geschoss aus dem Arsenal der ukrainischen Armee identifiziert worden sein (archiviert).

Bewertung

Falsch. Die Seriennummern haben keine Aussagekraft, wie es von Experten heißt.

Fakten

Bei der Attacke auf den Bahnhof von Kramatorsk wurde eine Totschka-U-Rakete der Version 9M79-1 eingesetzt. Das wurde unter anderem durch Bilder aus italienischen Medien deutlich.

Mehrere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, darunter die Ukraine und Belarus, verfügen über diesen Raketentyp, wie unter anderem das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) in seinem Jahresbericht über das weltweite Militärpotenzial («Military Balance») berichtet.

Obwohl die russische Armee nach IISS-Angaben ihr Arsenal zwar offiziell durch die neuere Iskander ersetzte, gibt es jedoch im Ukraine-Krieg mehrere Nachweise, dass Moskau noch immer die Totschka-U einsetzt. Bereits am ersten Kriegstag kommt es nach Angaben der Hilfsorganisation Amnesty International zu einem russischen Totschka-U-Angriff auf ein Krankenhaus in Vuhledar. Darüber hinaus ist dem Institute for the Study of War zufolge eine im Donbass eingesetzte russische Einheit mit der Rakete ausgerüstet.

Seriennummern für die Totschka-U wurden bei der Produktion zu Sowjet-Zeiten vergeben. Die Geschosse sind mittlerweile alt und in mehreren Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie etwa in Syrien gelagert. Für die Behauptung, dass bei der Verteilung die Reihenfolge der Seriennummern eingehalten worden sei - wie prorussische Aktivisten behaupten -, gibt es keine überzeugenden Belege.

«Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gibt es ein "schwarzes Loch" von einigen Jahren, in denen keine Informationen darüber vorliegen, welche Raketen in welchen Ländern verblieben, oder welche Systeme nach Russland zurückgekehrt sind», erklärt Oberstleutnant Frederik Coghe von der Königlichen Militärakademie in Brüssel der Deutschen Presse-Agentur (dpa). «Seriennummern bedeuten nichts ohne die Listen, welche Seriennummern sich in welchen Ländern befinden.»

Selbst direkt aufeinander folgende Zahlen müssten nicht zwangsläufig zu denselben Ländern gehören, sagt Coghe. Es könnte die 13 im ukrainischen, die 14 im belarussischen und die 15 im russischen Arsenal vorhanden sein. Es sei Zufall, welches Land welche Seriennummern erhalten habe, so Coghe.

(Stand: 14.4.2022)

Links

Italienischer Sender TG La7 mit Kramatorsk-Bildern (archiviert)

IISS über Totschka-U im russischen Arsenal (archiviert)

Nachweise für russische Totschka-U-Raketen in der Ukraine (archiviert)

Amnesty International über Angriff in Wuhledar (archiviert)

Frederik Coghe auf Researchgate (archiviert)

Institute for the Study of War über Kramatorsk/Lage in der Ukraine am 8.4.2022 (archiviert)

Facebook-Post mit Falschbehauptung (archiviert)

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