Angeblicher BBC-Beitrag zum Ukraine-Krieg ist eine Fälschung

19.04.2022, 12:43 (CEST)

Die Attacke auf den Bahnhof in der ukrainischen Stadt Kramatorsk am 8. April hat weltweit schockiert. Auch die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC hat umfassend über den Angriff berichtet. Nun werden jedoch auch gefälschte Videos mit dem Logo der BBC verbreitet - die angeblich belegen, dass die Attacke von der Ukraine ausgegangen sei.

Bewertung

Der Videoausschnitt ist manipuliert und nie so gesendet worden. Die BBC hat die Attacke nicht der Ukraine zugeschrieben. Auch vermeintliche Beweise aus russischen Kanälen stützen nicht die im manipulierten Video aufgestellte Behauptung, die Attacke sei von der Ukraine ausgegangen.

Fakten

Die BBC hat erklärt, dass das Video nicht von ihr stamme und eine Fälschung sei. Der manipulierte Clip ist auf keinen anderen Kanälen der Rundfunkanstalt zu finden – weder auf der Website noch auf dem offiziellen Facebook-, YouTube- oder Twitter-Account. Auch ein Produzent der BBC, der aktuell in der Ukraine arbeitet, hat das Video als Fake bezeichnet.

In einem Beitrag berichtet die BBC über die Nutzung von Streumunition bei der Attacke in Kramatorsk. An keiner Stelle wird behauptet, dass die Ukraine dafür verantworlich sei. Vielmehr sagt der Reporter, es sei offen, wer den Angriff gestartet habe. Es gebe jedoch Hinweise darauf, dass Russland dafür verantworlich sei.

Im manipulierten Video sind unterschiedliche Szenen aus Kramatorsk zusammengeschnitten. Auffällig ist, dass der Ton mehrmals abrupt abbricht und für Sekunden ausbleibt. Die Herkunft der verwendeten Szenen ist nicht immer eindeutig geklärt. Bei solchen, die kein eigenes Videomaterial sind, wird bei echten BBC-Beiträgen die Quelle meist in der oberen rechten Ecke des Videos genannt. Das ist im manipulierten Video nicht der Fall.

Auffällig sind auch sprachliche Fehler, die eine Person mit der Muttersprache Englisch nicht machte - etwa bei diesem Satz: «Ukraine has often started using fake news.» (wörtliche Übersetzung: Die Ukraine habe oft begonnen, Fake News zu nutzen)

Es ist außerdem unzulässig, anhand der Seriennummer der Totschka-U-Rakete darauf zu schließen, dass das Geschoss der ukrainischen Armee gehört hat. Bei der Attacke auf den Bahnhof von Kramatorsk wurde eine Totschka-U-Rakete der Version 9M79-1 eingesetzt. Das wurde unter anderem durch Bilder aus italienischen Medien belegt.

Mehrere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, darunter die Ukraine und Belarus, verfügen über diesen Raketentyp, wie unter anderem das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) in seinem Jahresbericht über das weltweite Militärpotenzial («Military Balance») berichtet.

Obwohl die russische Armee nach IISS-Angaben ihr Arsenal zwar offiziell durch das neuere Iskander-Raketensystem ersetzte, gibt es im Ukraine-Krieg mehrere Nachweise, dass Moskau die Totschka-U noch immer einsetzt. Bereits am ersten Kriegstag kam es nach Angaben der Hilfsorganisation Amnesty International zu einem russischen Totschka-U-Angriff auf ein Krankenhaus in Wuhledar. Darüber hinaus ist dem Institute for the Study of War zufolge eine im Donbass eingesetzte russische Einheit mit der Rakete ausgerüstet.

Seriennummern für die Totschka-U wurden bei der Produktion zu Sowjet-Zeiten vergeben. Die Geschosse sind mittlerweile alt und in mehreren Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie etwa in Syrien gelagert. Für die Behauptung, dass bei der Verteilung die Reihenfolge der Seriennummern eingehalten worden sei - wie prorussische Aktivisten behaupten -, gibt es keine überzeugenden Belege.

«Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gibt es ein "schwarzes Loch" von einigen Jahren, in denen keine Informationen darüber vorliegen, welche Raketen in welchen Ländern verblieben oder welche Systeme nach Russland zurückgekehrt sind», erklärt Oberstleutnant Frederik Coghe von der Königlichen Militärakademie in Brüssel der Deutschen Presse-Agentur (dpa). «Seriennummern bedeuten nichts ohne die Listen, welche Seriennummern sich in welchen Ländern befinden.»

Selbst direkt aufeinanderfolgende Zahlen müssten nicht zwangsläufig zu denselben Ländern gehören, sagt Coghe. Es könnte die 13 im ukrainischen, die 14 im belarussischen und die 15 im russischen Arsenal vorhanden sein. Welches Land welche Seriennummern erhalten habe, sei Zufall, so Coghe.

(Stand: 14.4.2022)

Links

Tweet der BBC (archiviert)

Tweet des Produzenten (archiviert)

Beispiel für authentisches BBC-Video

BBC-Bericht über Streumunition (archiviert)

Website BBC (archiviert)

Facebook BBC

Youtube BBC (archiviert)

Twitter BBC (archiviert)

Italienischer Sender TG La7 mit Kramatorsk-Bildern (archiviert)

IISS über Totschka-U im russischen Arsenal (archiviert)

Nachweise für russische Totschka-U-Raketen in der Ukraine (archiviert)

Amnesty International über Angriff in Wuhledar (archiviert)

Frederik Coghe auf Researchgate (archiviert)

Institute for the Study of War über Kramatorsk/Lage in der Ukraine am 8.4.2022 (archiviert)

Post (Video archiviert)

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