Tragweite des geplanten Pandemie-Vertrages wird überschätzt - WHO kann Demokratien nicht entmachten
1.4.2022, 14:32 (CEST)
Die Weltgesundheitsorganisation ist weiterhin mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie beschäftigt. Angeblich will sie dafür die Demokratien der einzelnen Mitgliedstaaten beschränken. «Es geht heute um den geplanten Pandemie-Vertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der soll schon 2024 von den 194 Mitgliedsstaaten verabschiedet werden», heißt es in einem Facebook-Beitrag (archiviert). Angeblich soll dieser Vertrag «für alle Länder ein verbindlicher Völkerrechts-Vertrag werden». Es werden drastische angebliche Folgen befürchtet: «Damit würde die Demokratie, wie wir sie einmal in Deutschland gekannt haben, vollends ausgehebelt.» Ist an dieser Behauptung etwas dran?
Bewertung
Die angeblichen Auswirkungen auf die Demokratie sind falsch dargestellt. Die WHO arbeitet zwar an einem internationalen Vertrag, der den Umgang mit künftigen Pandemien verbessern soll. Die Demokratie kann dieser aber nicht aushebeln: WHO-Vereinbarungen müssen im Rahmen der Verfassungen der Unterzeichnerländer angewendet werden.
Fakten
Die 194 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation haben am 1. Dezember 2021 beschlossen, eine Vereinbarung zu treffen, um Pandemien besser verhindern zu können. Auch soll die gemeinsame Übereinkunft dafür sorgen, dass die Weltgemeinschaft besser auf Pandemien reagieren kann. Im Mai 2024 plant die WHO, den Vertrag zu beschließen.
Bisher gibt es für diesen Vertrag aber nicht einmal einen Entwurf. Daher steht auch noch nicht fest, ob der Vertrag für alle Unterzeichnerstaaten verbindlich sein oder welche Folgen er haben wird.
WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus hat in einer Rede vom 29. November 2021 eine «rechtlich verbindliche» Vereinbarung zwischen den Nationen gefordert. Die Covid-19-Pandemie habe «grundlegende Schwächen in der globalen Architektur für Vorbereitung und Antwort auf Pandemie» gezeigt. Der Generaldirektor verwies unter anderem auf die weltweit sehr ungleiche Verfügbarkeit von Impfstoffen.
Die neue internationale Vereinbarung soll laut dem WHO-Chef vier Hauptziele erfüllen: Erstens sollten neue Gremien das Regierungshandeln effizienter machen. Zweitens sei mehr Geld nötig, etwa in Form eines speziellen Fonds. Drittens würden bessere Werkzeuge gebraucht, um den Ausbruch von Pandemien zu erkennen und darauf reagieren zu können. Viertens müssten auch die Finanzen der WHO selbst neu geregelt werden, weil diese stark von Spenden abhängig sei.
Die Europäische Union unterstützt den Plan für einen internationalen Pandemie-Vertrag. Die EU erhofft sich davon ebenfalls, dass die Welt besser auf Pandemien vorbereitet sein würde und in einem solchen Fall koordinierter handeln könnte. Das geht aus einer Veröffentlichung des Ministerrates hervor. Dort ist auch die Rede davon, dass der Vertrag «völkerrechtlich rechtsverbindlich» wäre.
Wie verbindlich die Vereinbarung wäre, ist bisher nicht geklärt. In ihrem Beschluss zu Ausarbeitung des Vertrags von Dezember 2021 verweist die WHO auf den Artikel 19 ihrer Verfassung. Dieser Artikel sieht rechtlich verbindliche Beschlüsse vor - die in dem Beschluss erwähnten «anderen Bestimmungen» könnten beispielsweise auch Empfehlungen erlauben.
Bisher gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die WHO eine Weisungsbefugnis für Impfpflichten oder Lockdowns in einzelnen Staaten bekommen könnte. So wird es in einem Blogbeitrag behauptet, auf den in sozialen Medien verlinkt wird. Dort heißt es auch, die WHO könnte auf Basis des geplanten Vertrages «Impfpflichten, Lockdowns und andere restriktive Maßnahmen erlassen, welche die Regierungen ohne Wenn und Aber ausführen müssten. Die nationalen Parlamente würden dadurch entmachtet.»
Schon bisher hat die WHO durch die «International Health Regulations» von 2005 das Recht und die Pflicht, eine «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» zu erklären. Diese kann mit Empfehlungen - nicht Weisungen - für restriktive Maßnahmen verbunden sein. Von diesem Recht hat die WHO bei der Covid-19-Pandemie Gebrauch gemacht.
Ähnliche Verträge enthalten stets Hinweise darauf, dass die Unterzeichnerstaaten einen Vertrag im Rahmen der nationalen verfassungsmäßigen Ordnung anwenden müssen. Damit ist klargestellt, dass ein internationaler Vertrag keine Verfassungsbestimmungen aushebeln kann. Demokratie und Parlamente werden also nicht entmachtet.
Entsprechende Hinweise finden sich auch im bisher einzigen Übereinkommen, das bei der WHO unter Berufung auf Art. 19 der WHO-Verfassung völkerrechtlich verbindlich abgeschlossen wurde: Dabei handelt es sich um das Rahmenabkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs von 2003, das ein Verbot der Tabakwerbung vorsah.
(Stand: 29.3.2022)
Links
Beschluss WHO vom Dezember 2021 (archiviert)
Rede des WHO-Chefs Tedros Adhanom Ghebreyesus (archiviert)
Papier EU-Ministerrat (archiviert)
Informationen zur «International Health Regulations» auf der Seite der US-Seuchenschutzbehörde CDC (archiviert)
«International Health Regulations» auf der Seite der WHO (archiviert)
Rahmenabkommen von 2003 (archiviert)
WHO über das Rahmenabkommen (archiviert)
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