Foto aus Donezk: Titelseite sollte «Schrecken des Krieges» zeigen

21.03.2022, 14:07 (CET)

Eine Titelseite der italienischen Tageszeitung «La Stampa» sorgt für Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Die Zeitung hat am Mittwoch, 16. März 2022, ein Foto von Opfern des Kriegs in der Ukraine veröffentlicht. Auf Facebook (hier archiviert) gibt es Vorwürfe, die Zeitung habe Tatsachen verdreht und Opfer eines ukrainischen Angriffs in Donezk als Opfer eines russischen Angriffs in Kiew ausgegeben. Dazu stehen die folgenden Worte: «Die italienische Presse hat die Bilder der toten Donezker Bürger, die Montag durch eine ukrainische »Tochka-U Rakete« ums Leben kamen, als »Beschuss von Kiew durch Russland« ausgegeben.» Was ist dran an den Vorwürfen?

Bewertung

Das Foto stammt nachweislich aus Donezk. Der kurze Text über Kiew auf der Titelseite von «La Stampa» bezieht sich jedoch nicht darauf, sondern ist ein Hinweis auf einen Artikel auf einer der folgenden Seiten über die Lage in Kiew. Dem Chefredakteur der Zeitung zufolge wurde das Bild zur allgemeinen Darstellung des Krieges in der Ukraine gezeigt - ohne es mit Vorwürfen an eine der beiden Kriegsparteien zu verbinden. Für den Angriff in Donezk machen sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich.

Fakten

Das Foto des Mannes, der offenbar zwischen Verwundeten und Getöteten steht und sein Gesicht vor Schrecken und Trauer mit seinen Händen bedeckt, stammt aus der Großstadt Donezk im Osten der Ukraine. Es ist am 14. März von einer russischen Nachrichtenseite über den Messengerdienst Telegram verbreitet worden und zeigt demnach die Opfer eines mutmaßlichen Raketenangriffs auf die Stadt, die von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird. Viele Medien, auch in Westeuropa, nutzten das Foto später in ihrer Berichterstattung. Auch das ukrainische Außenministerin verbreitete es auf Twitter.

Es ist in der Donezker Universitätsstraße aufgenommen worden. Dort und an anderen Stellen in der Innenstadt hat es am 14. März laut Angaben der Separatistenregierung sowie der russischen Regierung mindestens 20 Tote gegeben. Auch auf weiteren Fotos und Videos aus der Straße sind mutmaßliche Todesopfer zu sehen. Den Separatisten zufolge soll die ukrainische Seite eine Rakete auf das Stadtzentrum abgefeuert haben. Die Ukraine wiederum sprach von einem Raketenangriff der russischen Seite. Wer verantwortlich ist, bleibt unklar. Die Angaben beider Seiten konnten unabhängig nicht überprüft werden.

Am 16. März griff die italienische Tageszeitung «La Stampa» das Foto des trauernden Mannes aus Donezk auf und veröffentlichte es auf ihrer Titelseite unter der Überschrift «Das Blutbad» («La Carneficina»). Die Zeitungsseite wurde rasch von Nutzerinnen und Nutzern etwa auf Facebook aufgegriffen. Ihnen zufolge habe «La Stampa» behauptet, das Foto zeige Opfer eines russischen Angriffs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew - was eine klare Falschinformation wäre. Als Beleg wird auf einen kurzen Text rechts unten auf dem Foto verwiesen.

In diesem Text findet sich allerdings kein direkter inhaltlicher Bezug zu dem Foto. Es handelt sich wie bei den meisten anderen Texten auf der Titelseite vielmehr um einen Hinweis beziehungsweise Anreißer auf einen längeren Artikel auf einer der folgenden Seiten der Zeitung. In diesem Artikel geht es unter der Überschrift «Die Nacht von Kiew» um die dortige Lage, den mutmaßlich russischen Beschuss und einen möglichen bevorstehenden russischen Angriff auf die ukrainische Hauptstadt.

Der kurze Text und das Foto auf der Titelseite wurden von vielen Nutzerinnen und Nutzern aber offenbar als zusammenhängend interpretiert, auch weil eine Bildbeschreibung und ein eindeutiger Hinweis fehlen, dass das Foto aus Donezk stammt.

Für Kritik an der Zeitung «La Stampa» sorgte auch, dass für das Foto weder Quelle und noch Fotograf genannt wurden. Den Vorwurf der Falschinformation wies Chefredakteur Massimo Giannini gegenüber mehreren Medien zurück. Ihm zufolge wurde das Foto zusammen mit der Überschrift «Blutbad» verwendet, um allgemein «die Schrecken des Krieges» in der Ukraine zu zeigen. Er sagte auch, dass «La Stampa» zuvor über den Angriff in Donezk berichtet habe. Tatsächlich finden sich etwa in einem Liveblog auf der Website der Zeitung Berichte über die Geschehnisse dort.

(Stand: 21.3.2022)

Links

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Foto im Telegram-Kanal von «URA.RU» (14.3.2022) (archiviert)

Foto bei der linken deutschen Tageszeitung «Junge Welt» (14.3.2022, archiviert)

Tweet des ukrainischen Außenministeriums (17.3.2022) (archiviert)

Aufnahmeort des Fotos bei Google Maps (archiviert)

dpa-Bericht mit Angaben der Separatisten und der ukrainischen Regierung (14.3.2022) (archiviert)

Weitere Fotos aus Donezk (14.3.2022) (archiviert)

Video aus Donezk (14.3.2022) (archiviert)

Von «La Stampa» auf Twitter verbreitete Titelseite (16.3.2022) (archiviert)

Bericht der russischen Nachrichtenagentur Tass mit Zitat von Giannini (17.3.2022) (archiviert)

Statement von Giannini in Talkshow des Senders La7 (archiviert; archiviertes Video)

«La Stampa»-Liveblog zum Ukraine-Krieg vom 14.3.2022 (archiviert)

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