Aufnahmen aus dem Kreml waren keine Live-Bilder

23.02.2022, 15:52 (CET)

Russlands Präsident Wladimir Putin hat am 21. Februar 2022 die von prorussischen Separatisten kontrollierten ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als sogenannte «Volksrepubliken» anerkannt. Die Geschehnisse im Kreml waren im russischen Staatsfernsehen zu sehen - dem ersten Anschein nach live, wie Beobachter (archiviert) und Medien (archiviert) annahmen und schrieben. Aber handelte es sich wirklich um Echtzeit-Übertragungen?

Bewertung

Bei der Unterzeichnung, einer Rede Putins und auch bei der vorausgegangenen Sicherheitsratssitzung handelt es sich offenbar um Aufzeichnungen. Hinweise darauf liefern die Uhrzeiten auf den sichtbaren Armbanduhren sowie die Verwendung von Schnittbildern. Auch der Kreml teilte im Nachhinein mit, dass die Bilder vorab aufgezeichnet worden waren.

Fakten

Das russische Staatsfernsehen zeigte am Montag, den 21. Februar 2022, ab etwa 22.35 Uhr Moskauer Ortszeit, wie Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml ein Dekret unterzeichnete. Mit diesem erkannte er die Unabhängigkeit der selbst ernannten «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk im Osten des Nachbarlands Ukraine an. Diese Gebiete werden von prorussischen Separatisten kontrolliert, deren Anführer bei der Unterzeichnung im Kreml anwesend waren. Westliche Staaten warfen Putin daraufhin eine weitere Eskalation des Konflikts mit der Ukraine sowie eine Verletzung des Völkerrechts vor.

In Berichten über die Unterzeichnung wurden die Fernsehaufnahmen größtenteils als «live», also als in Echtzeit ausgestrahlt, aufgefasst. So heißt es in einem Blog-Eintrag, Putin habe «live im Fernsehen» Verträge unterschrieben. Auch der russische Auslandssender SNA nutzte auf Facebook die Formulierung «live». In einem Beitrag eines einzelnen Nutzers heißt es «+++ LIVE +++ PUTIN ERKLÄRT ANERKENNUNG DER BEIDEN REPUBLIKEN IM DONBASS +++».

Uhrzeiten passen nicht zur Übertragungszeit

Es gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass die Unterzeichnung deutlich früher stattgefunden hat und vorab aufgezeichnet wurde: In einem archivierten Livestream des Staatssenders RT ist auf einer Nahaufnahme die rechte Hand Putins beim Schreiben zu sehen - mitsamt der Armbanduhr, die er trägt. Diese zeigt als Uhrzeit ungefähr 10.15 oder 22.15 Uhr an. Auch die Uhr eines der Separatistenführer zeigt einige Augenblicke später ungefähr diese Zeit an. Er passt jedoch nicht zum Ausstrahlungszeitpunkt.

Dass die Bilder unter anderem auf Youtube als Livestream verbreitet wurden, ist kein Beleg dafür, dass sie auch unmittelbar zu diesem Zeitpunkt entstanden. In Livestreams auf Videoplattformen lässt sich technisch auch vorproduziertes Material senden.

In der Ausstrahlung des russischen Fernsehens hatte Putin zuvor eine etwa einstündige Ansprache gehalten. Ob diese aufgezeichnet wurde, lässt sich anhand der Bilder nicht ermitteln, denn Putins Uhr ist nicht zu sehen. Fernsehansprachen werden jedoch häufig vorab aufgezeichnet - auch in anderen Staaten. Nach Putins Ansprache gibt es einen Schnitt. Er ist mit einem Mal in einer anderen Umgebung zu sehen, geht in einen Saal, setzt sich und unterzeichnet das Dekret. Im Stream entstand bei diesem Schnitt eine kurze Pause, in der nur ein Standbild dieser neuen Szene zu sehen ist. Auch das deutet darauf hin, dass hier eine vorab angefertigte Aufzeichnung läuft.

Schnittbilder im Sicherheitsrat

Auch bei einer früheren Ausstrahlung des Staatsfernsehens gibt es Hinweise darauf, dass es sich um eine Aufzeichnung handelt. Um 16.50 Uhr am Montag Moskauer Ortszeit zeigte das Fernsehen die Beratungen des russischen nationalen Sicherheitsrates. Eine entsprechende Sitzung hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montagvormittag der Agentur Interfax zufolge angekündigt. Medien, darunter auch die Deutsche Presse-Agentur, hatten am Montag zunächst von einer Live-Übertragung gesprochen. Auch das russische Staatsfernsehen schrieb in einer Programmübersicht und im Video selbst von einer Livesendung.

An der Sitzung nahmen russische Minister und weitere Politiker teil. Bei einigen sind in dem rund anderthalb Stunden langen archivierten Livestream die Armbanduhren zu erkennen. Auch deren Zifferblätter passen nicht zum Ausstrahlungszeitpunkt. So ist es bei Minute 6:46 im Youtube-Video auf der Uhr des Moskauer Bürgermeisters Sergej Sobjanin ungefähr 12.10 oder 0.10 Uhr spät. Rund fünf Minuten weiter im Video zeigt die Uhr von Verteidigungsminister Sergej Schoigu 12.15 oder 0.15 Uhr an. Weitere rund fünf Minuten später ist es bei Schoigu und auch beim stellvertretenden Ministerpräsidenten Juri Trutnew 12.20 oder 0.20 Uhr. Gegen Ende des Videos (1:32:08) zeigt Schoigus Uhr ungefähr 13.35 oder 1.35 Uhr an. Der Abstand passt zu den ersten Zeitpunkten.

Zudem gibt es mindestens eine in die Ausstrahlung hineingeschnittene Sequenz, ein sogenanntes Schnittbild, die sich doppelt. Die Aufnahme des Moskauer Bürgermeisters Sobjanin als Zuhörer taucht sowohl bei Minute 6:46 als auch bei Minute 24:31 auf. Die Uhrzeit auf seiner Uhr und Sobjanins Augenbewegung sind identisch. Ein solches Schnittbild kann auch in einer Live-Ausstrahlung von der Regie ein zweites Mal verwendet worden sein, was jedoch ungewöhnlich ist. Naheliegender ist, dass es beim nachträglichen Bearbeiten und Schneiden eingefügt wurde - was gegen eine Live-Übertragung spräche.

Kreml-Sprecher Peskow räumte laut russischen Nachrichtenagenturen am Dienstag auf Nachfrage von Reportern ein, dass es sich bei der Sitzung und auch bei der Ansprache und der Unterzeichnung um Aufzeichnungen gehandelt habe. Es gibt also Hinweise darauf, dass Putin die Anerkennung von Donezk und Luhansk schon beschlossen haben könnte, bevor er im Sicherheitsrat scheinbar live im Staatsfernsehen eine baldige Entscheidung darüber ankündigte. Wann genau die Entscheidung fiel, ist nicht bekannt.

(Stand: 22.2.2022)

Links

Putins Rede an die Nation mit Unterzeichnung via Youtube (Youtube-Seite archiviert)

Nur Unterzeichnung auf Youtube (archiviert)

Sitzung des Sicherheitsrats via Youtube (Youtube-Seite archiviert)

Vollständige Sitzung (archiviertes Video)

Putins Rede an die Nation im TV (Video-Seite archiviert)

Sitzung des Sicherheitsrats im TV (Video-Seite archiviert)

«Zeit»-Artikel über Rede des deutschen Bundespräsidenten (archiviert)

Ankündigung des Sicherheitsrats-Treffens (archiviert)

Programmübersicht des Ersten Kanals (archiviert)

Übersicht der Mitglieder des Sicherheitsrats (archiviert)

Agentur Interfax über Sicherheitsrat (archiviert)

Agentur TASS über Rede und Unterzeichnung (archiviert)

Beitrag beim Blog «Anti-Spiegel» (archiviert)

Facebook-Beitrag (archiviert)

Video von SNA auf Facebook (archiviert)

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