Historiker: Maximal 25 000 Tote bei Bombenangriffen auf Dresden

17.02.2022, 17:15 (CET)

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs sind bei alliierten Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 Tausende Menschen ums Leben gekommen. Mit massiv übertriebenen Opferzahlen wird allerdings regelmäßig versucht, die Angriffe als beispiellos grausam darzustellen - und die deutsche Kriegsschuld zu relativieren. In einem aktuellen Beitrag schreibt etwa eine Frau, die sich als Zeitzeugin bezeichnet, dass sie von mehr als 100 000 Todesopfern überzeugt sei.

Bewertung

Wer von Hunderttausenden Toten spricht, übertreibt. Eine Kommission aus etwa einem Dutzend anerkannter Historiker stellte 2010 fest: Bei den Luftangriffen auf Dresden starben nicht mehr als 25 000 Menschen. Dass Leichen ohne jegliche Rückstände in großer Zahl verbrannten, schlossen die Experten aus.

Fakten

Vom 13. bis zum 15. Februar 1945 griffen britische und amerikanische Bomberverbände Dresden in Wellen an. Tausende Tonnen Brand- und Sprengbomben fielen auf die Stadt an der Elbe und entfachten einen tödlichen Feuersturm. Ein Großteil des Stadtzentrums wurde nahezu vollständig zerstört.

Die Zahl der Opfer dieser Angriffe war über Jahrzehnte umstritten: So schwankten die Angaben in der Regel zwischen etwa 20 000 und 500 000 Menschen. Deshalb setzte im Jahr 2004 der damalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg eine Historikerkommission ein.

Diese werteten vorhandene Quellen aus. In ihrem fast 100 Seiten starken Bericht kam die Kommission nach mehr als fünf Jahren Forschung zu dem Schluss, dass bei den Angriffen nicht mehr als 25 000 Menschen ums Leben kamen. Die Experten untersuchten unter anderem Friedhofsunterlagen nach Angaben zu Todesopfern und werteten mehr als 1300 Aussagen von Zeitzeugen aus.

Die Forscher gingen auch der Behauptung nach, dass angeblich Tausende Menschen in einem Flammeninferno spurlos verbrannt seien. Deshalb liege die Zahl der Todesopfer in Wahrheit weit höher. Nach der Konsultation von Experten - unter anderem aus Brandschutz, Rechtsmedizin, Archäologie und Architektur - kamen die Historiker aber zu dem Ergebnis, dass das spurlose Verschwinden einer größeren Zahl von Menschen unmöglich gewesen sei.

In einem begleitenden wissenschaftlichen Artikel wird detailgetreu aufgeführt, unter welchen Bedingungen menschliche Körper vollständig verbrennen. Kurz gefasst: Es müssen über einen längeren Zeitraum kontinuierlich Temperaturen von mindestens 1000 Grad Celsius herrschen. Nach Angaben rechtsmedizinischer Gutachter ist das in Dresden nicht der Fall gewesen. Das würde «vor dem Hintergrund der historischen Tatsachen jeglicher naturwissenschaftlich-logischen Überlegung widersprechen», heißt es in der Analyse.

Es ist korrekt, dass in einer Ausgabe der Brockhaus-Enzyklopädie aus dem Jahr 1968 steht, die Zahl der Opfer werde «bis auf 300 000 geschätzt». Worauf sich diese Angabe stützt, ist unklar - eine Quelle wird nicht genannt. Und: Die Untersuchung der Dresdner Historiker zeigt grundsätzlich, dass mehr als 50 Jahre alte Schätzungen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse überholt werden können.

In weiteren Behauptungen wird auf eine Quelle des Roten Kreuzes von 1948 verwiesen, in der von 275 000 Toten die Rede war. Die Historikerkommission bezeichnet die Angaben in dem mehr als 70 Jahre alten Bericht als «nicht belastbar» oder «zumindest nicht nachprüfbar». Denn darin heißt es ausdrücklich, die Angaben basierten nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern etwa auf Augenzeugenberichten, Zeitungsmeldungen oder Angaben anderer Hilfsorganisationen.

Die Dresdner Experten überprüften daneben weitere Berichte zu angeblich höheren Opferzahlen. Doch weder aus der Rekonstruktion der Ereignisse noch bei der Prüfung von Dokumenten, Erinnerungen, Statistiken oder militärtechnischen Untersuchungen «können belastbare Argumente für Totenzahlen von 100 000 und mehr festgestellt werden».

Der Beitrag der Frau, die sich als Zeitzeugin bezeichnet, erschien im Online-Angebot von «Compact». Dieses Magazin stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert extremistisch ein. Es trage Positionen und Aussagen in die Öffentlichkeit, die eindeutig als völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich zu bewerten seien, teilten die Verfassungsschützer dem ARD-Hauptstadtstudio im Dezember 2021 mit.

(Stand: 17.02.2022)

Links

Tagesschau-Artikel zur Einstufung von «Compact» als «gesichert extremistisch» (archiviert)

Abschlussbericht der Dresdner Historikerkommission, Ergebnisse ab Seite 67 (archiviert)

Bericht des Roten Kreuzes von 1948, besonders S. 103 f.

Gutachten der Kommissionsmitglieder

Kommissionsmitglied Widera über Expertengutachten zu Brandtemperaturen

Brockhaus-Ausgabe von 1968 zur Schätzung der Opferzahl

dpa-Faktencheck «Maximal 25 000 Tote bei Bombenangriffen auf Dresden - kein spurloses Verbrennen»

Beitrag auf der Webseite von «Compact» (archiviert)

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