Im Erbgut vieler Lebewesen finden sich identische DNA-Sequenzen - nicht nur bei HI- und Coronaviren
16.2.2022, 11:18 (CET)
Auf sozialen Netzwerken kursiert die Behauptung, Personen, die gegen Covid-19 geimpft wurden, sollten sich auf HIV testen lassen. Denn das Spike-Protein, welches der Körper nach einer Impfung gegen Sars-CoV-2 herstellt, enthalte Sequenzen des HI-Virus (archiviert).
Bewertung
Eine Impfung gegen Sars-CoV-2 führt nicht zu einer Infektion mit HIV. Die Behauptung, das Spike-Protein des Virus enthalte Sequenzen des Erbguts von HIV, ist irreführend. Lediglich einige wenige, sehr kurze Sequenzen des Erbguts der beiden Viren stimmen überein. Diese Sequenzen finden sich auch im Erbgut vieler anderer Lebewesen und sind nicht spezifisch für HIV.
Fakten
Die irreführende Behauptung, im Erbgut des neuartigen Coronavirus fänden sich Sequenzen des HI-Virus, kursiert bereits seit Januar 2020. Damals veröffentlichten Proteinforscher des Indian Institute of Technology einen entsprechenden Bericht.
Sie behaupteten, vier Stellen im Erbgut des neuartigen Coronavirus gefunden zu haben, die dem des HI-Virus ähneln würden. Diese «verblüffende Ähnlichkeit» sei «wahrscheinlich kein Zufall». Der Bericht wurde zwar nur auf einen Preprint-Server hochgeladen - war also noch nicht gemäß wissenschaftlicher Qualitätsstandards begutachtet worden - dennoch befeuerte der Bericht Spekulationen, das Coronavirus könne in einem Labor hergestellt worden sein.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fanden jedoch schnell grobe Fehler in dem Bericht. So hatten die Autoren offenbar übersehen, dass die angeblich auffälligen Sequenzen keineswegs typisch für HIV sind. Vielmehr kommen sie im Erbgut vieler Lebewesen vor. Dies merkte beispielsweise Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle (USA) an, der die Evolution von Viren erforscht. Es handele sich bei diesen Sequenzen um «winzige Stränge, die zufällig mit einer ganzen Reihe von Dingen übereinstimmen».
Anfang Februar 2020 zogen die Autoren den Bericht zurück. Man habe keinen Verschwörungstheorien Vorschub leisten wollen, begründete dies einer der Autoren, Prashant Pradhan, in einem Kommentar. Angesichts der ernsten Situation in der Pandemie habe man die vorläufigen Ergebnisse «so schnell wie möglich» teilen wollen.
Wenig später untermauerte eine am 14. Februar 2020 im Fachjournal Emerging Microbes & Infections veröffentlichte Studie die Kritik. Im Gegensatz zu dem indischen Preprint wurde diese Studie peer-reviewed, sie durchlief also den wissenschaftlichen Begutachtungsprozess, der die Qualität von Veröffentlichungen sichern soll. Die Autoren der Studie überprüften die angeblich auffälligen Stellen im Genom von Sars-CoV-2 mithilfe einer Sequenz-Datenbank. Das Ergebnis: Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Sequenzen spezifisch für HIV seien oder dass das neuartige Coronavirus Einfügungen des HI-Virus enthalte. Vielmehr kämen die jeweiligen Sequenzen „in allen Arten von Viren“ vor, „von Bakteriophagen über Influenza bis hin zu eukaryotischen Riesen-Viren“. Trevior Bedford zufolge sind die Sequenzen zudem im Erbgut einiger Bakterien, Spinnen und Parasiten zu finden.
Davon unbeirrt behauptete der mittlerweile verstorbene französische Nobelpreisträger Luc Montagnier im April 2020 in einem Interview, die Ähnlichkeit der Sequenzen des HI- und des neuartigen Coronavirus deute darauf hin, dass Letzteres in einem Labor hergestellt worden sei: «Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es in der Tat Manipulationen an diesem Virus gab.» Eine Gruppe von indischen Forschern habe dies auch publiziert.
Gegen diese Aussage wandte sich unter anderem der auf Coronaviren spezialisierte deutsche Virologe Christian Drosten: «Es ist schwierig für einen aktiven Wissenschaftler in der Virologie zu sagen, dass ein Nobelpreisträger im Fach Virologie Unsinn verbreitet», sagte Drosten im Mai 2020 im Podcast «Coronavirus-Update» des NDR. «Aber das ist kompletter Unsinn.» Es habe sich anhand der Vorpublikation der indischen Forscher ein wissenschaftlicher Konsensus, also eine Gesamtmeinung, herausgebildet. Die Vorpublikation sei dann zurückgezogen worden. «Dieses Thema ist einfach erledigt. Das ist auch erledigt, wenn ein im Ruhestand befindlicher Nobelpreisträger in einer Talkshow darüber spricht.»
In einigen Beiträgen auf sozialen Netzwerken wird die irreführende Behauptung, Sars-CoV-2 enthalte Sequenzen von HIV, nun auf die Impfung gegen Covid-19 übertragen. Doch in Bezug auf das Erbgut der Spike-Proteine, die der Körper nach einer mRNA-Impfung selbst herstellt, gilt dasselbe wie für die Spike-Proteine des echten Virus. Dass eine solche Impfung HIV auslöst, kann als ausgeschlossen gelten.
(Stand: 15.2.2022)
Links
Genom von Sars-CoV-2 (archiviert)
Zurückgezogenes Preprint (archiviert)
Tweet von Trevor Bedford (archiviert)
Sequenz-Datenbank BLAST (archiviert)
Interview mit Luc Montagnier (archiviert)
Coronavirus-Update mit Christian Drosten vom 12.5.2020 (archiviert)
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