Video interpretiert Studien falsch - Corona-Impfung wirkt und verhindert Todesfälle

18.02.2022, 17:32 (CET)

Immer wieder werden Daten zur Pandemie und den Corona-Impfstoffen in den sozialen Medien falsch interpretiert. Nun kursiert in den sozialen Netzwerken (archiviert) ein Video, das einen Zusammenhang zwischen dem Verlauf der Corona-Impfungen und der Anzahl der Todesfälle in einzelnen Ländern sieht. Dazu werden zwei Studien vorgestellt, die diese Behauptung angeblich stützen sollen. Demnach seien in den untersuchten Zeiträumen die Todesfälle immer dann angestiegen, wenn auch die Zahl der Impfungen stieg. Kann hier wirklich ein Zusammenhang gesehen werden?

Bewertung

Es gibt keine Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der Anzahl von Todesfällen und den Corona-Impfungen. Die Studien aus dem Video weisen eine Fehlinterpretation von Daten auf, die zu falschen und verzerrten Schlussfolgerungen führt.

Fakten

Grundsätzlich gilt in statistischen Vergleichen, dass ein Zusammenhang (Korrelation) nicht automatisch einen kausalen, also ursächlichen Zusammenhang bedeutet. In der Wissenschaft werden solche Ursachen, die keine sind, als «Spurious Correlation», also als Scheinkorrelation bezeichnet. Ein bekanntes Beispiel ist der hohe Zusammenhang zwischen der Anzahl der Störche und der Geburtenrate in einigen Regionen.

Britische Studie interpretiert Zahlen falsch

Das nun kursierende Video bezieht sich zum einen auf eine als sogenanntes Preprint veröffentlichte Studie aus Großbritannien, die die Sterberate der britischen Bevölkerung im Jahr 2021 untersucht hat. Die Wissenschaftler sahen den Höhepunkt des Sterberisikos immer genau dann, wenn der Höhepunkt der Corona-Impfungen erreicht war. Gleichzeitig argumentieren sie, dass Todesfälle, die innerhalb von zwei Wochen nach der erfolgten Impfung auftraten, in die Kategorie der Ungeimpften fallen. Deswegen seien Todesfälle «systematisch fehlzugeschrieben» worden und daher könnten die Impfstoffe die Sterblichkeit nicht verringern, sondern angeblich sogar erhöhen.

Großbritannien hat besonders früh mit Impfungen gegen das Coronavirus begonnen. Bereits im Dezember 2020 wurden die ersten Menschen geimpft. Ähnlich zu der Vorgehensweise in Deutschland wurden ältere Menschen priorisiert. Jüngere Menschen hatten also zumeist erst im Frühjahr 2021 die Möglichkeit, eine Corona-Impfung zu erhalten. 12- bis 15-Jährige konnten sich aufgrund der späteren Zulassung des Impfstoffs für ihre Altersgruppe sogar erst im September 2021 impfen lassen. Daraus resultierte eine erst langsam ansteigende Impfquote in den jüngeren Jahrgängen.

Die verwendeten Daten der Studie wurden vom britischen Statistikamt, dem «Office for National Statistics» (ONS), erhoben. Die Sterbedaten wurden dabei in teils sehr breite Kategorien aufgeteilt. So wurden zwar die älteren Altersgruppen in spezifischere Altersgruppen aufgeteilt (90+, 89-80, 79-70, 69-60), die jüngeren Altersgruppen wurden aber in der Kohorte der 10 bis 59-jährigen zusammengefasst.

Doch obwohl die Impfungen in einem Großteil dieser jüngeren Altersgruppe überhaupt also noch gar nicht erfolgt sein konnten, fasst auch die Studie die Altersgruppe der 10 bis 59-jährigen zusammen. Gleichzeitig führt dieser Umstand dazu, dass die Gruppe der geimpften Menschen deutlich älter war, als die der ungeimpften Menschen. Da die Sterblichkeit bei älteren Menschen naturgemäß höher ist, ist dies eine Erklärung für die höhere Zahl an Todesfällen in der Gruppe der geimpften Menschen.

Das «Office for National Statistics» veröffentlichte kurz nach dem Erscheinen der Studie detailliertere Zahlen. In den neuen Daten werden auch die jüngeren Altersgruppen in spezifischere Kategorien aufgeteilt. Die Studie der britische Forscher argumentiert, dass die Sterberaten der Ungeimpften immer dann ansteigen, wenn auch die Impfungen auf einen Höchststand ansteigen. Aber auch hier gibt es keine Hinweise auf erhöhte Sterberaten innerhalb von 21 Tagen nach der Impfung.

Das ONS betont zudem, dass die Statistiken durchaus auch die Todesfälle innerhalb der 14 Tage nach der Impfung registriere: «In unseren Sterblichkeitsstatistiken gilt eine Person als «ungeimpft», wenn sie keine Dosis der Covid-19-Impfung erhalten hat.» Demnach gebe es vier Kategorien: «Ungeimpft», «Nur mit der ersten Dosis geimpft (Sterbedatum liegt innerhalb von 21 Tagen nach der Impfung)», «Nur mit der ersten Dosis geimpft (Sterbedatum liegt 21 Tage oder mehr nach der Impfung)» und «Geimpft, sowohl mit der ersten, als auch mit der zweiten Dosis (Todesdatum)».

Ein kausaler Zusammenhang zwischen den Impfungen und der Anzahl von Sterbefällen lässt sich anhand dieser Daten nicht erkennen. Ein solcher Schluss ist auch problematisch, da ein einfaches Vergleichen viele Faktoren außen vor lässt: Etwa die verschiedenen Zeitpunkte der Impfungen und Eigenschaften der Pandemie, zum Beispiel die verschiedenen Infektionswellen. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen auch als «Simpson Paradoxon» bezeichnet. Die Eigenschaften einer Gesamtmenge stehen dabei im Widerspruch zu einer Teilmenge.

Auch deutsche Studie zieht falsche Schlüsse

Als weiteren Hinweis auf eine angeblich erhöhte Übersterblichkeit durch die Corona-Impfungen nennt das Video die Studie des Psychologieprofessors Christof Kuhbandner aus Regensburg. Dieser verglich ebenfalls die zeitliche Entwicklung der Todesfälle pro Tag und die Anzahl der Corona-Impfungen in Deutschland. Auch er fand, wie die britischen Forscher, einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen Sterblichkeitszahlen und Impfrate.

Ein Korrelationskoeffizient von 0,9 soll dies untermauern. Der Wert misst die Stärke eines Zusammenhangs zwischen zwei Variablen. Ein Wert knapp unter 1 bedeutet in der Statistik einen besonders starken Zusammenhang. Einen kausalen Zusammenhang kann dieser Wert jedoch nicht messen.

Kuhbandner vergleicht auch einzelne Bundesländer und findet auch hier einen Zusammenhang, ebenso in Österreich und Israel. Das Problem an dieser Rechnung ist jedoch, dass besonders bei den Corona-Impfungen nicht nur zwei Variablen (Sterberate und Impfrate) von Bedeutung sind. Um echte Kausalität zu beweisen, müsste hier mindestens ein Faktor (beispielsweise zu individuellen Todesursachen) hinzugezogen werden, so dass nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang zu beobachten ist.

Wenn die Impfung wirklich gefährlich wäre und Todesfälle verursachen würde, müsste dies weltweit und flächendeckend zu denselben Effekten führen - insbesondere in Ländern, die hohe Impfquoten aufweisen. Betrachtet man den Verlauf der verimpften Dosen und der gemeldeten Todesfälle beispielsweise in Australien und Japan, ist dieser Effekt jedoch nicht zu beobachten. In Australien und Neuseeland lagen die Sterberaten sogar unter den Werten in vergleichbaren Zeiten vor der Pandemie. Forschende führen dies auf die besonders harten Corona-Maßnahmen der beiden Staaten zurück.

Studien zeigen: Impfung wirkt und verhindert Todesfälle

Studien zeigen zudem gegenteilige Effekte. Forschende der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena sehen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen hohen Impfquoten und niedrigen Übersterblichkeitszahlen. Auch in Österreich kommt das dortige Statistikamt nach einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in der Gruppe der gegen Covid-19 geimpften Menschen deutlich niedrigere Sterberaten zu beobachten sind. Inzwischen distanziert sich auch Kuhbandners Fakultät an der Universität Regensburg von Behauptungen, die einen Zusammenhang zwischen Übersterblichkeit und Corona-Impfungen sehen.

An den Folgen der Impfung zu sterben, ist nahezu ausgeschlossen. Das in Deutschland für die Impfstoffsicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hält in seinem jüngsten Sicherheitsbericht bei 85 Fällen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Covid-19-Impfung und dem Tod als «möglich oder wahrscheinlich» - bei bis dahin insgesamt mehr als 148,8 Millionen durchgeführten Impfungen in Deutschland (Stand der Daten: 31.12.2021).

Daten zur Übersterblichkeit in der Corona-Pandemie sind immer wieder Gegenstand von Behauptungen, die die Pandemie verharmlosen oder die Wirkung der Corona-Impfung anzweifeln. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat dazu bereits mehrere Faktenchecks (etwa hier und hier) veröffentlicht.

(Stand: 18.2.2022)

Links

Beispiele für «Spurious Correlations» (archiviert)

Studie zum Zusammenhang von Storchpopulationen und Geburtenraten (archiviert)

Britisches Preprint zu Sterberaten und Corona-Impfungen (archiviert)

Informationen zum «Office for National Statistics» (ONS) (archiviert)

Zahlen des ONS (archiviert)

Informationen zur Kategorisierung von Geimpften und Ungeimpften des ONS in Großbritannien (archiviert)

Deutsche Welle über den Start der britischen Impfkampagne (7.12.2020) (archiviert)

Analyse des britischen Preprints durch Datenwissenschaftler Morris (archiviert)

«Ärzteblatt» über Start der Impfungen bei Teenagern in Großbritannien (14.9.2021) (archiviert)

Das «Simpson Paradoxon» bei Covid-19-Todesfallraten (archiviert)

Informationen über das «Simpson Paradoxon» im «Spiegel» (archiviert)

Deutschlandfunk über Christof Kuhbandner (24.2.2021) (archiviert)

Statement der Fakultät Humanwissenschaften an der Uni Regensburg (7.2.2022)(archiviert)

Veröffentlichung von Christof Kuhbandner (21.1.2022) (archiviert)

Informationen zur Aussagekraft von Korrelationskoeffizienten (archiviert)

Verlauf der Corona-Impfungen in Japan und Australien (archiviert)

Verlauf der Sterberate in Japan und Australien (archiviert)

«Tagesschau»-Artikel über weltweite Sterberaten in der Pandemie (3.8.2021) (archiviert)

Hinweise auf niedrige Übersterblichkeit in Bundesländern mit hohen Impfquoten (Ernst-Abbe-Hochschule Jena) (archiviert)

Statistik Austria zu Corona-Impfungen und Übersterblichkeit (25.1.2022) (archiviert)

Analyse von Kuhbandners Veröffentlichung in der «Unstatistik des Monats» (31.1.2022) (archiviert)

Artikel über Kuhbandner im Wissenschaftsmagazin «Spektrum» (archiviert)

Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 7.2.2022 (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Übersterblichkeit durch Corona (10.9.2021)

dpa-Faktencheck zu Übersterblichkeitszahlen in Deutschland (11.1.2022)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Beitrag mit Video auf Gettr (archiviert, archiviertes Video)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com