Luftaufnahmen falsch interpretiert - Theorie einer flachen Erde widerlegt

27.1.2022, 13:05 (CET)

Rund um den Globus glauben einige Menschen daran, dass sie gar nicht auf einer Kugel leben, sondern auf einer flachen Scheibe. Ihre These versuchen die sogenannten Flat Earthers mit zum Teil selbst durchgeführten Experimenten zu beweisen. Auf Facebook (hier archiviert) kursieren etwa Screenshots aus einem Video mit Luftaufnahmen aus einem Flugzeug. Darauf sollen zum Teil über 2 000 Kilometer entfernte Gewässer zu sehen sein. Dabei müsste man doch für solche Sichtweiten «laut offizieller Erdkrümmungsformel auf über 500 Kilometer aufsteigen!!!», heißt es in dem Beitrag, der das Video als unanfechtbaren Beleg feiert. Aber zeigt das Video wirklich Gewässer, die eigentlich hinter dem Horizont liegen müssten?

Bewertung

In dem Video, aus dem die Screenshots stammen, werden Orte und Gewässer falsch identifiziert. Es liefert keinen Beweis für die bereits mehrfach widerlegte Theorie einer flachen Erde.

Fakten

Wer am Wasser steht und ein zum Horizont fahrendes Schiff beobachtet, könnte meinen, das Schiff würde langsam im Horizont versinken. Schuld daran ist die Erdkrümmung. Sie sorgt dafür, dass wir Objekte auf der Erdoberfläche ab einer gewissen Entfernung nicht mehr sehen können. Die Sichtweite hängt dabei von der Sichthöhe ab. Von einem Aussichtsturm kann man weiter gucken als vom Boden - und einen noch größeren Überblick bekommt man aus dem Flugzeug.

Auf üblichen Reisehöhen von etwa 10 000 Metern beträgt die rechnerische Sichtweite 392 Kilometer. Dieser Wert lässt sich mit Hilfe des Satzes des Pythagoras berechnen. Es handelt sich bei dem Wert um die Sichtweite unter optimalen Bedingungen, wenn keine anderen Objekte wie etwa Berge die Sicht versperren.

Diese maximale Sichtweite gilt auch für die Standbilder in dem Facebook-Beitrag. Sie stammen aus einem Youtube-Video des Kanals «JTolan Media1», bei dem der Kameramann in einem Passagierflugzeug sitzt, das auf dem Weg nach Los Angeles ist. Mit einem Infrarot-Filter auf der Linse filmt die Kamera darin aus einem Fenster eines Flugzeuges. Durch den Filter erscheinen vor allem Gewässer auf der Aufnahme sehr viel deutlicher als mit bloßem Auge. Ein Wikipedia-Beispielbild illustriert diesen Effekt sehr anschaulich.

Im untersuchten Video wird die aktuelle Position mithilfe der App GPS Status & Toolbox protokolliert und an mehreren Stellen eingeblendet. Die gezeigten Koordinaten liegen alle auf der Flugroute zwischen dem Washington-Dulles-International Airport und dem Los Angeles International Airport, so wie es in dem Video behauptet wurde. Während der Aufnahme befindet sich das Flugzeug laut App über dem Bundesstaat Missouri, und zwar etwa 10 000 Meter über dem Meeresspiegel.

Der Sprecher erklärt den Zuschauern, welche markanten Orte - zumeist Gewässer - er aus dem Flugzeug identifiziert haben will. Doch bei der Zuordnung läuft einiges verquer - vor allem bei den Orten, die vom Flugzeug aus gesehen weiter weg liegen.

So wird beispielsweise bei Minute 5:44 behauptet, es sei im Bild neben dem Lake Winnebago und dem Lake Michigan auch die Stadt Green Bay zu sehen. Mithilfe des Flussverlaufs des abgefilmten Illinois River und des Tools Google Earth Pro lässt sich rekonstruieren, in welche Richtung gefilmt wird und welche Orte tatsächlich ins Sichtfeld der Kamera fallen.

Bei dem Ort in der Mitte, der fälschlicherweise als Lake Winnebago beschriftet wurde, handelt es sich entweder um einen weiteren Teil des abgefilmten Flusses oder ein angrenzendes Gewässer. Eine punktgenaue Zuordnung ist auf diese Entfernung und mit der vorliegenden, stark körnigen Bildqualität kaum möglich.

Dass es sich nicht um den Lake Winnebago handelt, kann dennoch zweifelsfrei belegt werden. Der See liegt nämlich viel weiter östlich, direkt vor dem Ort Green Bay. Beide Orte müssten - sofern man sie aus dieser Entfernung überhaupt sehen könnte - auf einer Linie liegen. Zwischen den beiden Orten und dem Flugzeug liegen jedoch mehr als 600 Kilometer, was sie bei einer Reisehöhe von etwas über 10 000 Metern hinter der Erdkrümmung verschwinden lässt.

Das Video enthält an dieser Stelle auch einen gravierenden logischen Fehler, der direkt ins Auge fällt: Der Lake Michigan soll laut Beschriftung dichter an der Kamera liegen als der falsch beschriftete Lake Winnebago, der allerdings viel weiter vorne im Bildausschnitt zu sehen ist.

An der Stelle des Videos, an der angeblich die Stadt Green Bay ausgemacht wurde, ist lediglich ein grauer Schleier zu sehen. Ein Beweis für die Sichtung des Ortes ist das nicht.

Die fehlerhaften Zuordnungen ziehen sich durch das gesamte Video. Dabei ist auffällig, dass die recht nah am Flugzeug liegenden Gewässer und Orte größtenteils korrekt benannt werden. So etwa auch den Mark Twain Lake bei Minute 7:24, der sich unter anderem durch seine einmalige Form zweifelsfrei identifizieren lässt.

In den darauffolgenden Sekunden wird das Bild erneut stark vergrößert. Im rechten Teil des Bildausschnitts ist dabei der Verlauf des Mississippi gut zu erkennen. Nach einem kurzen Schwenk nach links - bzw. Richtung Nordwesten - wird das Bild eingefroren und verschärft. Wieder versucht sich der Sprecher an einer Deutung der Aufnahme. Dieses Mal mit Zuhilfenahme von Satellitenfotos. Er kommt hierbei fälschlicherweise zu dem Schluss, es seien der Lake Superior und die Hudson Bay zu sehen.

Zwischen Kamera und Hudson Bay befinden sich noch etliche weitere Gewässer; darunter der Des Moines River, der Iowa River, der Cedar River und schließlich auch wieder der Mississippi, der in seinem weiteren Verlauf leicht gen Westen abknickt. Sollte es sich bei den grauen Flecken auf dem Standbild also tatsächlich um den Lake Superior und die mehr als 2 700 Kilometer entfernte Hudson Bay handeln, müssten weiter vorne im Bild zumindest noch die größeren Gewässer zu sehen sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Erdkrümmung verhindert eine Sicht auf den Lake Superior und die Hudson Bay.

Ganz unten im Facebook-Beitrag ist ein dritter Screenshot aus dem Youtube-Video zu sehen (Minute 14:10). Hierbei wurden die Infrarot-Luftaufnahme und ein Google-Earth-Bild zusammenmontiert - allerdings sehr ungenau, denn eine Flusskrümmung im Vordergrund ist auf beiden Bildhälften zu erkennen.

Auch die Horizontlinien beider Bilder passen nicht zusammen, was wiederum als Beweis für die angeblich nicht vorhandene Erdkrümmung dienen soll. Höchstwahrscheinlich wurde die Neigung der Ansicht in Google Earth nicht korrekt an die Neigung der Kamera angepasst, wodurch die Horizonte nicht perfekt aufeinanderliegen. Aufgrund der hohen Sichtweite reicht hier schon eine minimale Ungenauigkeit, um diesen perspektivisch bedingten Effekt herbeizuführen. Ein Beweis für eine fehlende Erdkrümmung ist auch das nicht.

Bei dem Youtube-Video handelt es sich um ein pseudowissenschaftliches Experiment, das nicht den als Beweis für die eigene These geeignet ist, die Erde sei flach. Der Facebook-Beitrag übernimmt die falsch gezogenen Schlüsse aus dem Video ungeprüft. 

(Stand: 26.1.2022)

Links

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Youtube-Video vom Nutzer JTolan Media1 (archiviert)

Beispielbild Infrarot-Fotografie (archiviert)

Screenshot der App GPS Status & Toolbox (archiviert)

Position der Kamera laut GPS-App auf Google Maps

Mark Twain Lake auf Google Maps

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