Sicherheitsbericht: Verdachtsfälle sind keine gesicherten Impf-Nebenwirkungen

04.01.2022, 16:20 (CET)

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist in Deutschland für die Zulassung und Sicherheit unter anderem von Impfstoffen zuständig. Zu den Mitteln gegen Covid-19 gibt das Institut regelmäßig Berichte heraus. Nun kursieren unter anderem in sozialen Medien (archiviert) Zahlen aus der PEI-Analyse vom 23. Dezember 2021. Diese sollen ein Beleg für angeblich 200 000 Nebenwirkungen und 1919 Todesfälle sein. In einem Blogbeitrag (archiviert) heißt es zudem: Die «vom PEI gemeldeten Impftoten» näherten sich der Marke von 2000 an. Doch ist solch eine Deutung überhaupt richtig?

Bewertung

Nein. Denn bei den vom PEI genannten Zahlen handelt es sich lediglich um sogenannte Verdachtsfälle - also Symptome und Vorfällen, die in zeitlicher Nähe zu einer Covid-19-Impfung auftraten. Das sind aber keine bestätigten Impfnebenwirkungen, -komplikationen oder kausal damit zusammenhängende Todesfälle. Das PEI hält bei einer deutlich geringeren Zahl der Todesfälle einen ursächlichen Zusammenhang überhaupt für möglich oder wahrscheinlich.

Fakten

Das Paul-Ehrlich-Institut hat am 23. Dezember 2021 einen neuen Sicherheitsbericht mit Daten zwischen dem Beginn der Impfungen Ende Dezember 2020 und dem 30. November 2021 veröffentlicht. Bereits im Untertitel schreibt das PEI, worum es sich bei den Zahlen im Bericht handelt: «Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor Covid-19».

Auf Facebook und anderen sozialen Medien kursiert nun eine Tabelle, die sich im Bericht auf Seite 8 findet. Darin werden unter anderem die Gesamtzahl der Fälle, die Zahl der schwerwiegenden Fälle sowie die Zahlen verteilt auf die jeweils verwendeten Impfstoffe gezeigt. Auch diese Auflistung trägt den Hinweis, dass es sich lediglich um «Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen» handelt. Auf Facebook und in anderen sozialen Medien allerdings werden die Zahlen häufig als tatsächliche «Nebenwirkungen» interpretiert und dargestellt. Doch das ist falsch.

Denn im Anhang des Berichts (ab S. 36) erläutert das PEI die Methodik: Gesammelt werden Verdachtsmeldungen, um über die sogenannte «Observed-versus-Expected»-Analyse die Häufigkeit von Krankheitsbildern oder medizinischen Vorfällen nach Impfungen mit der erwarteten statistischen Häufigkeit ohne Impfungen zu vergleichen.

So sollen «Risikosignale» und Hinweise auf Nebenwirkungen gefunden werden. Entsprechende Zusammenhänge müssen aber immer durch weitere Studien untersucht werden. Auf diese Weise fielen 2021 zum Beispiel Herzmuskelentzündungen als eine sehr seltene Nebenwirkung von mRNA-Impfstoffen auf. Daraufhin beschränkte unter anderem in Deutschland die Ständige Impfkommission (Stiko) ihre Empfehlungen für den Impfstoff von Moderna auf eine kleinere Altersgruppe.

Direkte Schlüsse auf die Sicherheit der Impfstoffe lassen sich aus den im PEI-Bericht gezeigten Gesamtzahlen jedoch nicht ziehen. Das Institut schreibt (S. 36): Zu beachten sei, «dass unerwünschte Reaktionen oftmals im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung gemeldet werden». Es sei «ausdrücklich erwünscht», dass auch solche Reaktionen berichtet werden, deren Zusammenhang mit der Impfung eher fraglich seien. «Das heißt aber auch, dass nicht jede gemeldete Reaktion tatsächlich eine Nebenwirkung darstellt», so das PEI.

Ähnliche Hinweise zur Interpretation verwenden auch andere große Datenbanken über Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen, etwa die der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) oder die US-amerikanische VAERS-Datenbank.

Diese Methodik bezieht sich ausdrücklich auch auf Sterbefallzahlen. Die Angabe von angeblich 1919 Todesfällen stammt ebenfalls aus dem PEI-Bericht vom 23. Dezember (S. 10). Doch auch hier handelt es sich lediglich um Verdachtsfälle - also Meldungen über einen zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung. Das PEI schreibt konkret, dass es nur in 78 Fällen einen ursächlichen Zusammenhang für «möglich oder wahrscheinlich» hält.

Die falsche Behauptung über angeblich vom PEI gemeldete gesicherte Todesfälle durch Impfungen findet sich auch in einem Blogbeitrag in der Formulierung «vom PEI gemeldete Impftote», die sich vermeintlich der Marke von 2000 annäherten. Der Beitrag deutet einen unbewiesenen Zusammenhang zwischen «Impftoten», einer behaupteten, aber unbelegten Dunkelziffer und der in Deutschland seit Beginn der Pandemie verzeichneten Übersterblichkeit an.

Die PEI-Zahlen bieten dafür keinerlei Grundlage. Über die Übersterblichkeit schreibt das Statistische Bundesamt, dass der «Anstieg der Sterbefallzahlen maßgeblich durch die Pandemie beeinflusst» sei. Auf mögliche Auswirkungen der Corona-Impfungen auf die Sterbefallzahlen deutet hingegen nichts hin, zumal die Monate mit der höchsten Übersterblichkeit in Phasen fallen, als noch gar nicht oder nur in geringem Umfang gegen Corona geimpft wurde - etwa auf den Jahreswechsel 2020/2021 und das Frühjahr 2021.

(Stand: 4.1.2022)

Links

Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (23.12.2021) (archiviert)

Mitteilung der Ständigen Impfkommission zum Impfstoff von Moderna (10.11.2021) (archiviert)

dpa-Faktencheck zur EMA-Datenbank (17.5.2021)

dpa-Faktencheck zur VAERS-Datenbank (23.4.2021)

Mitteilung des Statistischen Bundesamts zur Übersterblichkeit (9.12.2021) (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts (26.4.2021)

Beitrag auf «Apolut» (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

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