Britischer Gesundheitsbericht: Weniger Antikörper nach milden Covid-Verläufen

07.01.2022, 10:13 (CET), letztes Update: 07.01.2022, 10:16 (CET)

Dass sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus anstecken können, ist seit Beginn der Impfkampagne vor mehr als einem Jahr unbestritten. Man spricht dabei von Durchbruchsinfektionen. Doch nun macht im Netz mit Verweis auf einen Bericht der britischen Gesundheitsbehörde die Behauptung die Runde, dass Geimpfte nach einer Infektion weniger gut vor Corona geschützt sein sollen, weil sie dann weniger Antikörper vorwiesen als Ungeimpfte - so heißt es bereits im Oktober 2021 (archiviert). An anderer Stelle (archiviert) wird mit Bezug auf den britischen Expertenbericht sogar verbreitet: «Corona-Impfung zerstört langfristig das Immunsystem!»

Bewertung

Falsch. Das Immunsystem wird durch eine Impfung nicht zerstört. Zwar bilden Geimpfte bei einer Infektion mit dem Coronavirus tatsächlich im Durchschnitt weniger Antikörper gegen ein bestimmtes Protein als Ungeimpfte. Allerdings liegt das der britischen Gesundheitsbehörde zufolge daran, dass Covid-Erkrankungen bei Geimpften meist milder und kürzer verlaufen.

Fakten

Entwickelt wurden die bisher in der EU eingesetzten Impfstoffe gegen den sogenannten Wildtyp des Coronavirus, der Ende 2019 zuerst in China entdeckt wurde. Die seit dem Jahreswechsel 2020/2021 verabreichten Mittel zeigen auch gegen später virulente Varianten wie etwa Delta ihre Wirkung. Ob die Vakzine auch ausreichend gegen Omikron schützen, ist aktuell Gegenstand intensiver Untersuchungen.

Worum geht es bei dem britischen Bericht?

Die britische Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA) gibt wöchentlich einen Situationsbericht zur Corona-Lage in Großbritannien heraus. Dieses Papier ist vergleichbar mit dem Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) für Deutschland.

Konkret geht es in den genannten Blog-Artikeln um den UKHSA-Bericht für die Kalenderwoche 42 (18. bis 24. Oktober 2021). Unter dem Stichwort Seroprävalenz (englisch: seroprevalence) behandeln die Abschnitte ab Seite 19, wie häufig spezifische Antikörper im Blut vorkommen. Damit kann man eine bestehende oder durchgemachte Infektionskrankheit nachweisen. Antikörper sind ein wichtiger Teil des Immunsystems, sie bekämpfen etwa Bakterien und Viren.

Die britische Gesundheitsbehörde kontrolliert regelmäßig Menschen ab 17 Jahren, die Blut spenden, auf zwei Arten von Antikörpern gegen den Sars-CoV-2-Erreger:

  • Mit dem Spike-Test wird das Blut nach Antikörpern gegen das Spike-Protein untersucht. Das Spike-Protein ermöglicht dem Coronavirus, an andere Körperzellen anzudocken und diese zu infizieren. «Mit den Spike-Tests können sowohl Antikörper nach der Infektion als auch durch den Impfstoff induzierte Antikörper nachgewiesen werden», so die Behörde. Die bisher in der EU zugelassenen mRNA- und Vektor-Impfstoffe zielen direkt und allein auf das Spike-Protein.
  • Bei dem anderen, dem sogenannten Nukleoprotein-Test werden Antikörper gegen das Nukleokapsid-Protein des Coronavirus untersucht. Dabei werden nach UKHSA-Angaben «nur Antikörper nach der Infektion nachgewiesen». Diese Antikörper werden nicht nach einer Impfung gebildet. Sie zeigen also immer an, dass sich ein Mensch mit dem Coronavirus infiziert hat, wie die Experten schreiben. Diese Nukleoprotein-Tests werden benötigt, «um durch Impfung induzierte Antikörper von Antikörpern nach natürlicher Infektion unterscheiden zu können», heißt es vom RKI, das ähnliche Untersuchungen für Deutschland macht.

Die britische Gesundheitsbehörde unterscheidet in ihren Berichten diese beiden Arten: Sogenannte S-Antikörper werden durch einen Spike-Test nachgewiesen, N-Antikörper durch einen Nukleoprotein-Test.

Was sind die konkreten Ergebnisse der Spike-Tests?

Dass bei Blutspendern S-Antikörper «wahrscheinlich häufiger» vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung, führt die britische Behörde darauf zurück, dass «Spender eher geimpft sind». Nach der Impfung mit einem mRNA- oder Vektor-Mittel bildet der Körper zunächst selbstständig das Spike-Protein, das dem des Coronavirus gleicht, anschließend dann Antikörper dagegen.

Die Impfung habe einen wichtigen Beitrag zu dem seit der Einführung des Impfprogramms beobachteten Gesamtanstieg der S-Antikörper-Werte geleistet, so die britischen Experten.

Im jüngsten UKHSA-Bericht von Kalenderwoche 51 (20. bis 26. Dezember 2021) heißt es: «Bei Patienten mit Durchbruchsinfektionen sind die S-Antikörperspiegel signifikant erhöht, was auf eine Verstärkung ihrer Antikörperspiegel schließen lässt.» Der Grund dafür ist, dass das Immunsystem bei geimpften Menschen bereits auf das Spike-Protein vorbereitet ist und verstärkt Antikörper dagegen bildet.

Und was ergaben die Nukleoprotein-Tests?

Im Fokus der irreführenden Blog-Artikel steht eine der Schlussfolgerungen auf Seite 23 des UKHSA-Berichts aus Kalenderwoche 42. Dort heißt es: Jüngste Beobachtungen aus Überwachungsdaten zeigten, «dass die N-Antikörperspiegel bei Personen, die sich nach zwei Impfdosen infizieren, offenbar niedriger sind» als bei Ungeimpften.

Dieses Fazit ist beinah wortgleich im UKHSA-Bericht von Kalenderwoche 51 erneut zu finden (S. 46). Darin schickt die Behörde zudem eine Erklärung hinterher: «Diese geringeren N-Antikörperreaktionen bei Personen mit Durchbruchsinfektionen (nach der Impfung) im Vergleich zur Primärinfektion spiegeln wahrscheinlich die kürzeren und milderen Infektionen bei diesen Patienten wider.»

Anders als beim Spike-Protein ist das Immunsystem bei Geimpften nicht auf das Nukleokapsid-Protein vorbereitet. Sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte reagieren aber darauf. Die Reaktion, also die Bildung von N-Antikörpern, fällt jedoch stärker bei schwereren Krankheitsverläufen aus - die häufiger bei Ungeimpften auftreten.

Worin liegen die Autoren der Blog-Artikel nun genau falsch?

Mehrere Beiträge (hier und hier) schließen aus den UKHSA-Erkenntnissen, dass geimpfte Menschen «weitaus anfälliger für etwaige Mutationen des Spike-Proteins [sind], selbst wenn sie sich bereits infiziert haben und wieder gesund geworden sind». Das führen sie darauf zurück, dass angeblich insbesondere geimpfte Menschen keine Antikörper gegen das Nukleokapsid-Protein zu produzieren scheinen. Das stimmt jedoch nicht, wie die UKHSA-Stellungnahme zeigt: Geimpfte bilden demnach lediglich durchschnittlich weniger Antikörper, weil Corona-Infektionen bei ihnen milder und kürzer verlaufen.

(Stand: 30.12.2021)

Links

Wochenberichte der UK Health Security Agency (archiviert)

UKHSA-Wochenbericht aus Kalenderwoche 42 (archiviert)

UKHSA-Wochenbericht aus Kalenderwoche 51 (archiviert)

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung über Seroprävalenz (archiviert)

RKI über serotologische Untersuchungen (archiviert)

«corona-transition.org»-Artikel über britischen Bericht (archiviert)

«unser-mitteleuropa.com»-Artikel über britischen Bericht (archiviert)

«theeuropean.de»-Artikel über britischen Bericht (archiviert)

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