Universitätsklinikum erhielt 11,7 Millionen Euro für zusätzliche Intensivbetten

4.1.2022, 15:58 (CET)

Über die Zahl der Intensivbetten gibt es in Deutschland in der Corona-Pandemie immer wieder Streit - unter anderem über Geld, das die Bundesregierung an Krankenhäuser gezahlt hat, damit diese mehr Kapazitäten auf den Intensivstationen schaffen. In Facebook-Beiträgen (archiviert) heißt es nun über ein großes Klinikum in Schleswig Holstein, dessen Vorstandsvorsitzender der Bruder des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz ist, es habe «einen Riesenhaufen fiktive Betten angemeldet» und «damit mehr als 70 Millionen Euro Steuergelder abgesahnt». Andernorts (archiviert) wird behauptet, dass «diese Betten real nie existiert haben». Stimmt das und gibt es Hinweise auf angedeutete Interessenkonflikte und Korruption?

Bewertung

Es stimmt, dass Olaf Scholz' Bruder Jens der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein ist. Für die behauptete Zahl von 70 Millionen Euro für die Schaffung neuer Intensivkapazitäten dort gibt es jedoch keinerlei Belege. In der ersten Corona-Welle im Jahr 2020 erhielt das Klinikum vom Bund dafür 11,7 Millionen Euro. Hinweise, dass die im Gegenzug bereitgehaltenen Betten dort «fiktiv», also gar nicht vorhanden sind oder waren, gibt es nicht.

Fakten

Um mehr Kapazitäten auf den Intensivstationen für eine befürchtete hohe Zahl von Corona-Patienten zu schaffen, hat die Bundesregierung im Frühjahr 2020 Fördergelder an Krankenhäuser und Kliniken gezahlt. Pro zusätzlichem Intensivbett erhielten diese gemäß § 21 Abs. 5 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes pauschal 50 000 Euro.

Das Bundesgesundheitsministerium hat in einem Dokument aufgeführt, welches Krankenhaus wie viel Geld erhielt. Die größte Einzelsumme beträgt 11,7 Millionen Euro - so viel Geld erhielt neben einer Klinik in Stuttgart auch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigt das Klinikum, den vom Gesundheitsministerium genannten Betrag erhalten zu haben.

Nach Angaben des UKSH habe man die Zahl der Intensivbetten von 172 auf 406 erhöht - also 243 zusätzliche Betten geschaffen. Das deckt sich mit dem Betrag von 11,7 Millionen Euro. Für die zum Teil behaupteten «mehr als 70 Millionen Euro» gibt es hingegen keinerlei Belege.

Im April 2020 hatte das Klinikum in einer Pressemitteilung noch von nur 190 neu geschaffenen Betten geschrieben. Die Zahl von insgesamt 406 Betten deckt sich mit späteren Angaben des UKSH zum Beispiel aus dem Sommer 2021 und während der vierten Corona-Welle im November 2021.

Dass die Zahl dieser Betten nicht stimme beziehungsweise es sich, wie unter anderem auf Facebook und in Blog-Einträgen behauptet, um «fiktive Betten» handele, die später wieder «abgemeldet» worden seien oder die es «faktisch nie gegeben» habe, ist durch nichts belegt. Wie das Klinikum auf dpa-Anfrage schreibt, «stehen und standen diese Betten jederzeit zur Verfügung».

Ein Teil davon ist demnach aber nur als Reserve «im Krisenfall» zu verstehen: Die Betten gibt es zwar, um sie zu betreiben, müssen Kliniken aber ihre Abläufe und Personalplanung umstellen. Zuletzt hatte das UKSH Ende November 2021 mitgeteilt, angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wieder andere planbare Operationen zu reduzieren. Als Reserve galten zu diesem Zeitpunkt laut Klinikum nur noch 40 Betten. Im Sommer waren es noch 166 gewesen.

Hintergrund ist, dass es bei einer befürchteten hohen Zahl von Corona-Intensivpatienten nicht ausreicht, Betten zum Beispiel mit Beatmungsgeräten aufzustellen. Zur Versorgung der Patienten muss auch genug Personal vorhanden sein, das dann an anderer Stelle fehlt. Im Juli hatte das UKSH gegenüber dem «Deutschen Ärzteblatt» mitgeteilt, dass es für das Betreiben aller 406 Betten auch auf «trainierte freiwillige Helferinnen und Helfer» angewiesen sei. Solche hatte das Klinikum im Laufe der Pandemie immer wieder gesucht.

Im Sommer 2021 hatte es Kritik an den deutschen Krankenhäusern und Kliniken gegeben - ausgehend von einem Bericht des Bundesrechnungshofs, der die Zahlungen des Gesundheitsministeriums und die Kriterien für die Erteilung der Fördergelder untersucht hatte. Konkrete Hinweise auf flächendeckend falsche Angaben der Krankenhäuser oder speziell des UKSH über die Zahl der zusätzlichen Intensivbetten hatten sich aus dem Bericht aber nicht ergeben.

Für finanzielle Einbußen zum Beispiel durch abgesagte planbare Behandlungen haben die Kliniken und Krankenhäuser in Deutschland gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz zusätzlich Ausgleichszahlungen vom Bund erhalten - allerdings nicht pauschal pro Bett oder Patient, sondern individuell berechnet. Für den Zeitraum zwischen der 12. und 40. Kalenderwoche 2020 waren es für das UKSH laut Bundesgesundheitsministerium rund 29 Millionen Euro. Für das gesamte Jahr 2020 nennt das Klinikum auf dpa-Anfrage einen Betrag von rund 31 Millionen Euro. Für das Jahr 2021 liege der Betrag darunter.

Generell erhält das UKSH als «Anstalt des öffentlichen Rechts in der Trägerschaft des Landes Schleswig-Holstein» auch unabhängig von der Pandemie Geld vom Staat: In der Bilanzsumme des Klinikums von rund 2,1 Milliarden Euro für das Jahr 2019 sind rund 142 Millionen Euro als «Zuweisung öffentliche Hand» enthalten.

Vorstandsvorsitzender des Klinikums ist Jens Scholz, der Bruder des neuen Bundeskanzlers und ehemaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz. Hinweise auf persönliche Vorteile durch das Familienverhältnis und die Fördergelder und Ausgleichszahlungen des Bundes gibt es allerdings nicht.

(Stand: 29.12.2021)

Links

§ 21 Krankenhausfinanzierungsgesetz (archiviert)

Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (25.6.2021) (archiviertExcel-Download archiviert)

Pressemitteilung UKSH (1.4.2021) (archiviert)

«Deutsches Ärzteblatt» über Intensivbetten u.a. am UKSH (9.7.2021) (archiviert)

Pressemitteilung UKSH (28.11.2021) (archiviert)

Pressemitteilung UKSH (26.11.2021) (archiviert)

Recherche von NDR, WDR und «SZ» (6.7.2021) (archiviert)

Bericht des Bundesrechnungshofs (9.6.2021) (archiviert, archivierter PDF-Download)

Hintergrund zum UKSH (archiviert)

UKSH-Jahresbericht 2018/2019 (archiviert)

Medienbericht über Jens Scholz (8.12.2021) (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Beitrag «corona-blog.net» (archiviert)

Video auf Youtube (archiviert)

Beitrag auf «Ansage!» (archiviert)

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