Wiederbelebung geht auch ohne Beatmung

23.12.2021, 11:49 (CET)

Herzdruckmassage und Atemspende: Aus diesen beiden Bestandteilen sollte eine Wiederbelebung bei einem Herz-Kreislaufstillstand eigentlich bestehen. Doch in Pandemie-Zeiten ist das etwas anders: Von einer Beatmung bei der Ersten Hilfe kann abgesehen werden. In sozialen Medien wird unter anderem eine entsprechende Reanimationsgrafik des Westdeutschen Rundfunks verbreitet und behauptet (archiviert), «das ganze Land» habe «den Verstand verloren». Manche halten das gar für einen «Mordaufruf» (archiviert).

Bewertung

Dass eine Wiederbelebung ohne Atemspende gar nichts bringe, ist in seiner Pauschalität falsch. Deutsches Rotes Kreuz und Deutscher Rat für Wiederbelebung empfehlen sogar: Laien sollten sich auf die Herzdruckmassage konzentrieren. Aus Vorsicht vor einer Corona-Infektion könne auf eine Mund-zu-Mund-Beatmung verzichtet werden. Diese Erkenntnis ist nicht neu.

Fakten

Niemandem ist von außen anzusehen, ob er oder sie mit dem Coronavirus infiziert ist - auch nicht leblosen Menschen, die Erste Hilfe benötigen. In Pandemie-Zeiten haben Erstretter und Erstretterinnen womöglich Vorbehalte vor der Mund-zu-Mund-Beatmung und trauen sich deshalb im Fall der Fälle keine Wiederbelebung zu. «Dann obliegt es der Person, nur die Herzdruckmassage durchzuführen», sagt der Erste-Hilfe-Experte Marcus Aust vom Deutschen Rote Kreuz (DRK) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Das DRK schreibt auf seiner Homepage: «Bei einem Herz-Kreislaufstillstand sollte in der aktuellen Situation der Corona-Pandemie auf die Mund-zu-Mund-Beatmung verzichtet und nur die Herzdruckmassage durchgeführt werden.» Das gelte solange, bis der Rettungsdienst übernehme.

Auch der Deutsche Rat für Wiederbelebung weist «in Übereinstimmung mit den nationalen und internationalen Leitlinien» darauf hin: Ersthelfer sollten primär eine Herzdruckmassage durchführen, die Notwendigkeit einer Atemspende in dieser Situation sei «zunächst nachrangig anzusehen».

Andere Fachorganisationen empfehlen das schon seit Jahren. Laien sollten die Mund-zu-Mund-Beatmung weglassen, schreibt zum Beispiel die Herzstiftung. Eine Ausnahme seien etwa Herz-Kreislauf-Stillstände durch Ertrinken. In solch einem Fall könnten zusätzliche Atemspenden für die Überlebenschancen wesentlich sein. Auch bei Kindern wird zu einer Beatmung geraten.

Im Grundsatz besteht die Wiederbelebung laut DRK aus Herzdruckmassage und Atemspende, und zwar im Verhältnis 30 zu 2 - also dreißig Mal Drücken, zwei Mal Beatmen. «Das ist die effizienteste Herangehensweise und wird so gelehrt», sagt Experte Aust.

Der unverzichtbare Teil der Wiederbelebung ist aber tatsächlich die Herzdruckmassage. Die Hände übernehmen die Funktion des Herzens, sagt der Medizinprofessor und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln, Bernd Böttiger, der dpa. «Es reicht bei Erwachsenen für die ersten Minuten in aller Regel aus, nur zu drücken, weil noch ausreichend Sauerstoff im Körper ist», so der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Rates für Wiederbelebung.

Wenn die Atemspende aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, sollte man zumindest durchgehend die Herzdruckmassage machen. «Drück einfach so gut es geht!», sagt DRK-Mann Aust.

Dabei sollte man 100 bis 120 Mal pro Minute auf dem Brustbeinknochen kräftig fünf bis sechs Zentimeter nach unten drücken und entlasten - der Druckpunkt ist bei Männern und Frauen mittig zwischen beiden Brustwarzen zu finden. Als Hilfe kann man während der Reanimation den Song «Stayin' alive» der Bee Gees summen, der hat genau den richtigen Takt. «Die Herzdruckmassage macht man ununterbrochen, bis der Notarzt da ist», sagt Böttiger.

In einem der am weitesten verbreiteten Tweets, der eine Erste Hilfe ohne Atemspende ins Lächerliche zieht, heißt es: Beim Coronavirus gebe es eine «Überlebensrate» von 99,8 Prozent. Das soll im Umkehrschluss heißen: Nur 0,2 Prozent würden demnach an oder mit dem Sars-CoV-2-Erreger sterben. Auch das ist falsch.

In Deutschland zum Beispiel lag am 21. Dezember der Anteil der Verstorbenen unter den nachgewiesenen Covid-Infektionen bei 1,6 Prozent, wie die Johns Hopkins Universität angibt. In anderen Ländern war demnach dieser Wert sogar um ein Vielfaches höher - etwa in Jemen (19,6 Prozent), Peru (8,9) und Mexiko (7,6).

Das Robert Koch-Institut schreibt über den Fall-Verstorbenen-Anteil in Deutschland (mit Daten bis zum 23. November 2021): «Bei 99 433 Verstorbenen unter 5,4 Millionen gemeldeten Fällen ergibt sich ein Wert von 1,8 Prozent.»

(Stand: 21.12.2021)

Links

Erste-Hilfe-Grafik des WDR (archiviert)

Deutsches Rotes Kreus über Erste Hilfe in der Corona-Pandemie (archiviert)

Deutscher Rat für Wiederbelebung über Erste Hilfe in der Corona-Pandemie (archiviert)

Deutsche Herzstiftung über Erste Hilfe in der Corona-Pandemie (archiviert)

Johns Hopkins Universität über Fall-Verstorbenen-Anteil bei Corona (archiviert am 21.12.2021)

RKI über Fall-Verstorbenen-Anteil bei Corona (archiviert am 21.12.2021)

Erste-Hilfe-Tweet über angeblich «verlorenen Verstand» (archiviert)

Erste-Hilde-Facebook-Post über angeblichen «Mordaufruf» (archiviert)

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