Aussagen eines Mediziners zu Corona-Impfungen beziehen sich auf Transplantationspatienten

17.12.2021, 14:20 (CET)

Ein kurzer Videoclip mit Aussagen eines Arztes aus Stuttgart wird in den Sozialen Medien (archiviert) viel geteilt. Angeblich sage der Mediziner «eine harte Wahrheit»: Auch drei Impfungen gegen Covid-19 brächten nichts, es gebe keinen Schutz. Tatsächlich sagt der Arzt in dem Video unter anderem: «Und jetzt sieht man einfach, dass die Impfantwort zu schlecht ist und die Patienten trotz einer dreifachen Impfung immer noch massiv gefährdet sind, eine Covid-19-Infektion zu bekommen.» Räumt hier also ein Mediziner ein, dass die Impfstoffe nicht wirksam sind?

Bewertung

Falsch. Die Aussage des Arztes wurde aus ihrem Kontext gerissen. In einem längeren Beitrag für das ZDF bezog sich der auf Transplantationen spezialisierte Mediziner auf Risikopatienten, die eine Organtransplantation hinter sich haben und deren Immunsystem daher durch Medikamente so geschwächt ist, dass es trotz Impfung keine oder zu wenig Antikörper gegen das Coronavirus bildet.

Fakten

Dem kurzen Videoclip, der unter anderem auf Telegram und Facebook kursiert, fehlt entscheidender Kontext. Zu sehen ist Jörg Latus, der am Klinikum Stuttgart Oberarzt am Transplantationszentrum ist. Er kam in einem Filmbeitrag für das ZDF-Magazin «WISO» zu Wort, den dieses unter anderem am 9. Dezember 2021 auf Facebook veröffentlicht hat.

In dem Beitrag geht es um Menschen, die eine Organtransplantation hinter sich haben und daher auf Medikamente angewiesen sind, die das Immunsystem unterdrücken. Eine Folge ist, dass solche Patientinnen und Patienten auch trotz einer Corona-Impfung oft nur wenige oder gar keine Antikörper gegen das Virus bilden.

Latus bezieht sich in seinem Statement ausschließlich auf solche Personen, wie in dem rund vierminütigen Beitrag klar zu erkennen ist. Mit Formulierungen wie «die Patienten sind völlig verunsichert» (ab Minute 1:23) bezieht er sich ausschließlich auf Organtransplantierte. Durch die geringe Videoauflösung in vielen der verkürzten Clips ist allerdings auch die Berufsbeschreibung von Latus («Oberarzt Transplantationszentrum Klinikum Stuttgart») aus dem ZDF-Beitrag kaum lesbar.

Ein weiterer Satz von Latus beginnt bei Minute 1:49 im ZDF-Beitrag. Auch hier spricht er stets nur von «Patienten», bezieht sich aber klar auf Organtransplantierte. Das nun kursierende verkürzte Video ist also nicht nur aus dem Kontext des Beitrags herausgeschnitten, sondern auch aus zwei Teilen zusammengesetzt worden - also möglicherweise in bewusster Täuschungsabsicht.

Das Klinikum schreibt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Im verkürzten Beitrag in den Sozialen Medien wird fälschlicherweise unterstellt, Herr Latus äußere sich grundsätzlich kritisch gegenüber der Wirksamkeit der Corona-Impfung. Das weist das Klinikum Stuttgart entschieden zurück. Wir verurteilen derartige Falschinformationen und manipulierende Veröffentlichungen und haben rechtliche Schritte eingeleitet.» Das Klinikum setzt auch weiter auf Impfungen und betreibt etwa in der Stuttgarter Innenstadt eine öffentliche Impfstation.

Hintergrund der geringeren Wirksamkeit der Impfstoffe bei Transplantationspatienten ist die sogenannte Immunsupression. Damit der Körper eines Patienten ein fremdes Organ nicht abstößt, müssen Medikamente verabreicht werden, die das Immunsystem bremsen. Dadurch verringert sich aber auch die eigentlich benötigte Antwort des Immunsystems auf Impfstoffe. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft empfiehlt die Impfung und Auffrischungen dennoch.

Im «WISO»-Beitrag aus dem Stuttgarter Klinikum heißt es, in manchen Fällen würden zusätzliche Impfungen helfen - in anderen bleibe nur, weiter Kontaktbeschränkungen vorzunehmen, um eine Infektion zu vermeiden. «Die Patienten sind wirklich verzweifelt», sagt Mediziner Jörg Latus - aber klar bezogen auf die Gruppe derer, denen solche persönlichen Einschränkungen empfohlen werden.

Generell sind die Corona-Impfstoffe wirksam und sicher. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts ist insbesondere der Schutz vor schweren Verläufen von Covid-19 nach wie vor sehr hoch. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt aber allen Personen ab 18 Jahren eine Auffrischungsimpfung, also eine dritte Dosis. Inwiefern die neue Omikron-Variante des Coronavirus die Wirksamkeit der Impfstoffe verändert, wird wissenschaftlich noch untersucht.

(Stand: 16.12.2021)

Links

Webseite des Klinikums Stuttgart (archiviert)

Beitrag von «ZDF WISO» auf Facebook (9.12.2021) (archiviert, archiviertes Video)

Klinikum Stuttgart über Impfstation (14.12.2021) (archiviert)

Informationen zur Immunsupression nach Transplantationen (archiviert)

Deutsche Transplantationsgesellschaft zu Covid-19 (archiviert)

Robert Koch-Institut zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe (archiviert)

dpa-Bericht über Impfschutz und Omikron-Variante (10.12.2021) (archiviert)

Beitrag auf Telegram (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert, archiviertes Video)

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