Keine Belege, dass Fotos mit Merkel spätere NSU-Terroristen zeigen

3.12.2021, 15:56 (CET)

Hat die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn ihrer politischen Karriere Kontakt zu späteren rechtsextremen Terroristen gehabt? Das legt eine Foto-Sammlung auf Facebook nahe (archiviert). Aufnahmen aus den 1990er Jahren zeigen Merkel mit Jugendlichen in Bomberjacken und mit rasierten Schädeln. Die Behauptung: Auf den Fotos seien die späteren Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zu sehen: angeblich «zwei alte Bekannte» von Merkel.

Bewertung

Es gibt keinerlei Belege, dass die Fotos Böhnhardt und Mundlos zeigen. Die Aufnahmen entstanden bei Gesprächen Merkels mit rechtsradikalen Jugendlichen, als Merkel Ministerin für Frauen und Jugend war.

Fakten

Die Bilder sind nicht gefälscht, auf vier der Aufnahmen ist Angela Merkel in ihrer Zeit als Bundesministerin für Frauen und Jugend (1991-1994) zu sehen. Für ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus suchte die CDU-Politikerin im August 1992 das Gespräch mit rechtsradikalen Jugendlichen in Rostock-Lichtenhagen. Im April 1993 besuchte sie außerdem einen rechten Jugendclub in Magdeburg.

So entstanden die Fotos, die in Rostock ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur (dpa) schoss. Über den Termin in Magdeburg schrieb eine anwesende dpa-Reporterin. Die Fotos aus Magdeburg finden sich unter anderem in einem rückblickenden Artikel zum Thema Rechtsextremismus in Ostdeutschland.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Fotos von Merkel und den nicht namentlich bekannten Jugendlichen die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zeigen, die damals Teenager waren. Böhnhardt saß im Gefängnis, als Merkel 1993 Magdeburg besuchte.

Die Foto-Collage und die Behauptung, Merkel habe in Kontakt mit Neonazis gestanden, sind nicht neu und tauchen immer wieder auf. Faktenchecker haben sie bereits 2016 und 2019 widerlegt. Ohne Behauptungen über Böhnhardt und Mundlos wurde die Collage bereits im Jahr 2015 unter anderem von einer russischen Boulevardzeitung verbreitet.

Akten über den NSU haben Verfassungsschutzämter mehrerer Bundesländer als Verschlusssache eingestuft, es gibt also nicht «die NSU-Akten». Eine ähnlich lange Sperrfrist wie die nun verbreiteten 125 Jahre ist nur aus Hessen bekannt. Die Landesregierung stellte Akten des hessischen Verfassungsschutzes zum NSU 120 Jahre lang unter Verschluss. Die Bundeskanzlerin war an diesem Vorgang nicht beteiligt. Nach dem rechtsextremen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 verkürzte die hessische Regierung die Sperrfrist von 120 auf 30 Jahre.

(Stand: 2.12.2021)

Links

Lebenslauf von Angela Merkel (archiviert)

Foto aus Rostock-Lichtenhagen aus dem Jahr 1992 (archiviert)

dpa-Bericht aus Magdeburg 1993 (archiviert)

Artikel mit Fotos aus Magdeburg (archiviert)

Bericht mit Angaben zu Böhnhardts Haftstrafe 1993 (archiviert)

Faktencheck von «Mimikama» zu den Fotos (18..3.2016) (archiviert)

Faktencheck von «Correctiv» (29.4.2019) (archiviert)

Russischer Medienbericht mit der Collage (9.2.2015) (archiviert)

dpa-Bericht über NSU-Akten in Hessen (24.2.2020) (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com