RKI-Zahlen irreführend interpretiert - Corona-Impfung bietet hohen Schutz
10.11.2021, 14:17 (CET)
Angesichts steigender Zahlen von Infektionsfällen und Covid-Kranken nimmt in Deutschland die Debatte über flächendeckende Drittimpfungen gegen Covid-19 Fahrt auf. Manche Nutzer sozialer Medien bezweifeln allerdings noch immer die grundsätzliche Wirkung der Impfstoffe. Als Beleg führt ein aktueller Facebook-Beitrag Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) zu Impfdurchbrüchen an - also zu Menschen, die sich trotz vollständigem Impfschutz mit dem Corona infiziert haben und zudem Covid-typische Symptome haben (archiviert). Demnach sollen Impfdurchbrüche bei den Über-60-Jährigen Ende Oktober 58,9 Prozent der symptomatischen Covid-Fälle ausmachen. «Wer jetzt noch an das Märchen der Wirkung der I*pfstoffe glaubt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen!», heißt es in dem Beitrag zum Foto aus dem RKI-Bericht. Sind die dargestellten Zahlen korrekt und belegen sie tatsächlich, dass die Corona-Impfstoffe schlecht wirken?
Bewertung
Die dargestellten Zahlen sind echt, doch sie werden irreführend interpretiert und sind kein Beleg für eine Unwirksamkeit der Corona-Impfung. Die Impfung schützt in hohem Maße davor, schwer an Covid-19 zu erkranken oder daran zu sterben. Impfdurchbrüche kommen vor, weil die Impfung schon länger zurückliegt und der Schutz nachgelassen hat.
Fakten
Auf dem geteilten Screenshot ist zu erkennen, dass die Zahlen zu Impfdurchbrüchen aus dem wöchentlichen Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 28. Oktober 2021 stammen. Dort sind sie auf Seite 22 zu finden. Der «Anteil wahrscheinliche Impfdurchbrüche unter symptomatischen COVID-19-Fällen» wird berechnet auf Basis der gemeldeten symptomatischen Covid-19-Fälle, bei denen der Impfstatus angegeben war. Für die Altersgruppe der Über-60-Jährigen waren das in der Kalenderwoche 39 bis 42 etwa 58,9 Prozent.
Diese Angabe bedeutet nicht, dass 58,9 Prozent aller Corona-Fälle bei über-60-jährigen Geimpften auftreten. Die entscheidenden Details sind hier die Zusätze «mit Angabe Impfstatus» und «symptomatisch». Denn nur von einem Teil aller gemeldeten Infektionsfälle ist der Impfstatus, oder ob Symptome auftraten, bekannt. Insgesamt wurden dem RKI bei den Über-60-Jährigen zwischen der 39. und 42. Kalenderwoche 36.756 Corona-Fälle gemeldet. Das sind deutlich mehr als die 21.928 symptomatischen Fälle in dieser Altersgruppe, bei denen der Impfstatus bekannt war.
Der Hauptzweck der Corona-Impfung ist: Schwere Verläufe der Lungenkrankheit Covid-19, die das Coronavirus verursacht, sowie Todesfälle verhindern. Diese Schutzwirkung erreicht die Impfung mit bis zu 90-prozentiger Wirksamkeit.
Weil die Impfung vor allem Krankheit verhindern soll, wertet das RKI als Impfdurchbruch nur Fälle, bei denen Menschen trotz vollständigem Impfschutz krank geworden sind, also Symptome entwickelt haben. Würde man auch geimpfte Corona-Infizierte ohne Symptome zählen - zumindest jene, deren positives Testergebnis man kennt - würde das also nicht die «Unwirksamkeit noch um Einiges deutlicher» zeigen, wie es im Facebook-Beitrag behauptet wird. Die Wirksamkeit der Impfung ist bestätigt - auch wenn sich geimpfte Menschen mit Corona anstecken.
Aus verschiedene Gründen kann es passieren, dass sich Menschen trotz vollständigem Impfschutz mit Corona anstecken und auch krank werden. Zum einen bieten die Impfungen zwar einen sehr hohen Schutz vor Krankheit und Tod, aber eben keinen hundertprozentigen. Je mehr Menschen in der Bevölkerung vollständig geimpft sind, desto größer wird somit die absolute Zahl jener, die sich trotz Impfung infizieren und an Covid-19 erkranken, schreibt das RKI. Auch die ansteckendere Delta-Variante spielt eine Rolle.
Außerdem lässt die Schutzwirkung der Corona-Impfung nach, je länger sie zurückliegt. Das betrifft vor allem ältere Menschen, die Anfang 2021 auch als Erste geimpft wurden. Im höheren Alter falle die Immunantwort nach Impfungen ohnehin insgesamt geringer aus und Impfdurchbrüche könnten häufiger auch zu einem schweren Verlauf führen, schreibt die Ständige Impfkommission (Stiko). Aus diesem Grund empfiehlt die Stiko auch eine dritte Booster-Impfung für ältere Menschen, Personen mit Immunschwäche und medizinisches Personal.
Nach Ansicht von Experten ist der saisonale Effekt, dass Menschen sich im Sommer grundsätzlich weniger mit Atemwegserkrankungen anstecken als im Winter, auch nicht so groß, dass er sich bedeutend in der Zahl der Impfdurchbrüche niederschlagen würde. Die Zunahme der Impfdurchbrüche in jüngster Zeit gehe «überwiegend auf das Konto des nachlassenden Schutzes vor der reinen Infektion», schrieb Carsten Watzl, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage.
Dass die Wirkung der Impfung nachlässt, ist auch nichts, was den Menschen «verkauft» wird - wie es im Facebook-Beitrag heißt. Diesen Effekt haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen - etwa aus Israel und Großbritannien. Ergänzende Zahlen lieferte jüngst eine Untersuchung der US-Gesundheitsbehörde CDC: Demnach sank die Wirksamkeit des Biontech-Präparats nach vier Monaten auf 77 Prozent, während Moderna mit einer Effektivität von 92 Prozent nahezu stabil blieb.
(Stand: 10. November 2021)
Links
Wöchentlicher Covid-Lagebericht des Robert Koch-Instituts vom 28. Oktober (archiviert)
Tabelle des RKI mit Altersverteilung aller Corona-Infektionsfälle (archiviert)
Fragen und Antworten des RKI zur Wirksamkeit und zu Impfdurchbrüchen (archiviert)
dpa-Bericht «Besserer Corona-Schutz: Stiko rät zu Auffrischung für viele Menschen», veröffentlicht von Zeit.de (archiviert)
dpa-Faktencheck «PCR-Tests weisen Corona-Infektion nach - Impfungen wirksam»
Paul-Ehrlich-Institut zur Wirksamkeit der Impfstoffe (archiviert)
Israelische Studie zur nachlassenden Impfwirkung (archiviert)
Artikel in «Nature» über die britische Preprint-Studie zur Impfwirkung (archiviert)
Untersuchung der US-Seuchenbehörde CDC zur nachlassenden Wirkung der Impfstoffe (archiviert)
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