Keine Belege für angebliches Cicero-Zitat
1.11.2021, 18:58 (CET), letztes Update: 30.3.2023, 13:55 (CEST)
Zitate klassischer Autoren genießen oft einen besonderen Stellenwert - wegen ihrer zeitlosen Bedeutung, ihrer sprachlichen Eleganz und auch, weil sie seit vielen Jahrhunderten verwendet werden. In diversen Facebook-Posts wird derzeit ein Sharepic verbreitet, das angeblich ein Zitat des römischen Politikers, Redners und Philosophen Marcus Tullius Cicero zeigt (archiviert). Es beschreibt in einer Art Bevölkerungshierarchie, wie Politiker auf Kosten der anderen Bürger leben. Aber gehört es wirklich zu den Redewendungen, die sich aufs alte Rom und den legendären Denker zurückführen lassen?
Bewertung
Es lassen sich keine Belege finden, dass dies ein Zitat von Cicero ist. Mehrere Experten gehen davon aus, dass der Spruch nicht von ihm stammt.
Fakten
Google-Suchen mit dem vollständigen Spruch oder Bestandteilen davon und dem Namen «Cicero» führen nur auf eine Seite, die das Sharepic zum Download bereitstellt und zu Varianten des Sinnspruchs in verschiedenen sozialen Netzwerken. Die Ergebnisse einer Facebook-Suche stammen alle aus dem Oktober 2021. Es gibt allerdings eine Variante, die bereits seit 2013 kursiert und deren Verfasser dazu schreibt, der Spruch sei zwar «nicht von Cicero, aber trotzdem nett».
Professor Ulrich Schmitzer vom Institut für Klassische Philologie an der Humboldt-Universität zu Berlin schreibt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): Es gebe diverse Hinweise darauf, dass das Zitat nicht von Cicero und auch nicht aus seiner Zeit stammt. Allein der Sprachgebrauch passe nicht zu einer Übersetzung aus dem antiken Latein.
Aber die Authentizität sei auch deshalb unwahrscheinlich, «weil die Römer seit dem Jahr 167 v. Chr. keine (direkten) Steuern mehr zahlten». Lediglich in den Provinzen gab es solche Steuern, die die unterworfenen Völker zahlen mussten. Außerdem passe die geschilderte soziale Hierarchie nicht zum damaligen Rom.
Anwälte in unserem Verständnis habe es nicht gegeben und Ärzte seien in der Regel Sklaven oder Freigelassene gewesen. «Politiker», die - wie in Deutschland ungefähr seit dem 19. Jahrhundert üblich - vom Staat bezahlt werden, seien aus der römischen Gesellschaft jener Zeit auch nicht bekannt.
Schmitzer hat dennoch die ihm verfügbaren Datenbanken nach entsprechenden Stichworten durchsucht und keinerlei Hinweise auf ein solches Zitat von Cicero gefunden. Auch der emeritierte Professor für Klassische Philologie Wilfried Stroh hat zu dem antiken Denker geforscht. Er bezeichnet die Worte in einer Antwort an die dpa als «weit von Cicero entfernt».
(Stand: 29.10.2021)
Berichtigung
Im Text wurde der Name von Professor Ulrich Schmitzer berichtigt.
Links
Google-Suche nach Zitat (archiviert)
Ältere Variante auf Facebook (archiviert)
Artikel zu Steuern in der Antike beim Bayerischen Rundfunk (archiviert)
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