Fehlerhafte Übersetzung: US-Wissenschaftler sprachen vor Corona-Pandemie von Grippe-Impfstoffen

28.10.2021, 15:02 (CEST), letztes Update: 28.10.2021, 21:45 (CEST)

Verschwörungstheoretiker verbreiten immer wieder, die Corona-Pandemie sei ein geplantes Ereignis gewesen. In einem Facebook-Post wird behauptet, der US-Immunologe Anthony Fauci habe schon vor dem Ausbruch des Coronavirus gesagt, man brauche ein «krisenhaftes Ereignis», um bei «gentechnischen Therapien» nicht an bürokratische Fesseln und Verfahren gebunden zu sein (hier archiviert). Dazu werden Sequenzen von Aussagen anderer Wissenschaftler hinzugefügt, die angeblich bereits vor Jahren erklärten, wie einfach Coronaviren im Labor manipuliert werden könnten.

Bewertung

Der US-Immunologe Anthony Fauci sprach über Grippe-Impfstoffe. Seine Äußerungen und die der anderen Wissenschaftler sind falsch zitiert, fehlerhaft übersetzt und aus dem Zusammenhang gerissen worden.

Fakten

In dem Facebook-Post wird behauptet, Anthony Fauci und Rick Bright, ein anderer führender US-Wissenschaftler, hätten bereits am 29. Oktober 2019 im US-Fernsehen über die Herstellung von mRNA-basierten Impfstoffen gesprochen. Wegen des öffentlichen Widerstands gegen gentechnische Therapien müsse es «ein «krisenhaftes» Ereignis (disruptive event)» geben, um ein Szenario herbeizuführen, bei dem sie «nicht an bürokratische Fesseln und Verfahren gebunden» seien, heißt es im Beitrag bei Facebook. Zugleich hätten die Wissenschaftler darüber «schwadroniert», wie einfach es doch sei, Coronaviren im Labor zu manipulieren.

Der US-Fernsehsender C-SPAN hat am 29. Oktober 2019 eine Podiumsdiskussion übertragen, die im Rahmen einer dreitägigen Konferenz des Milken Institutes zu Gesundheitsfragen in Washington organisiert wurde. Bei dieser Diskussion ging es um die Frage, ob und wann es eine universelle Impfung gegen alle Arten von Grippe geben könnte, welche die bisher jährliche Grippe-Schutzimpfung gegen jeweils einzelne Varianten ersetzen könnte.

Während der rund 58 Minuten dauernden Diskussion wurde der Begriff «disruptive event» entgegen der Behauptung aus dem Facebook-Post überhaupt nicht verwendet. Allerdings tauchte das Wort «disruptive» drei Mal und das Wort «disrupting» ein Mal auf (archivierte Fassung mit dem Transskript der Veranstaltung).

Das Wort «disruptive» hat laut Cambridge Dictionary zwei mögliche Bedeutungen. Erstens kann es «störend» bedeuten. Ein Schüler könne in der Klasse einen «störenden Einfluss» («disruptive influence») haben. Zweitens bedeutet das Wort im Business-Bereich, dass die traditionelle Weise, in der eine Industrie arbeitet, sich verändert, vor allem in neuer und effizienter Weise. Deswegen werde beispielsweise von «disruptive technologies», also neuen, unkonventionelle Technologien gesprochen.

Das Online-Wörterbuch leo.org bietet für «disruptive technologies» die deutschen Übersetzungen «bahnbrechende Technologien» oder «revolutionäre Techologien» an. Auch das Oxford Learner‘s Dictionary führt neben der ersten Bedeutung «störend» die zweite Definition «neu und originell, in einer Weise, die die Art, wie etwas getan wird, wesentlich verändert» («new and original, in a way that causes major changes to how something is done») auf.

«Disruptive Technologien» sind auch in der deutschen Forschungslandschaft ein bekannter Begriff, der nichts mit «störend» oder gar «krisenhaft» zu tun hat. Eine Definition des Fraunhofer-Instituts findet sich hier. Auch Gablers Wirtschaftslexikon teilt diese Definition und erläutert zum besseren Verständnis: «Kompressionsformate wie MP3, Geräte wie Digitalkameras, Flachbildfernseher, Smartphones und 3D-Drucker sowie Innovationen wie Kryptowährungen sind Beispiele für disruptive Technologien.»

Bei der Diskussion über Grippe-Impfungen wurde «disruptive» im Sinne von neu, unkonventionell, anders oder frisch benutzt wird.

Der US-Immunologe und Impfstoffforscher Rick Bright sagt (ab Minute 23:00), es habe in den Vergangenheit immer wieder beliebtere Forschungsbereiche als die Grippe gegeben. Als Beispiele nennt er etwa das HI-Virus. Um das zu ändern, spricht er (ab Minute 31:30) von einer «Begeisterungsfähigkeit (entity of excitement) da draußen, die völlig unkonventionell (completley disruptive) ist und die nicht an bürokratische Vorgaben und Verfahren gebunden ist».

Danach sagt Fauci (ab etwa Minute 31:40): «Der HIV-Bereich wurde wachgerüttelt, als wir eine Menge Geld hineingesteckt haben.» Dies sei die einfachste Weise, Studenten für Forschung zu begeistern. Wenn man, wie im US-Kongress diskutiert, viel Geld in die Forschung an einem universellen Grippe-Impfstoff stecke, «dann würde man neue Leute dazu bewegen, sich mit neuen unkonventionellen Ideen (with new ideas that are disruptive) zu beteiligen und die mit einem anderen Blickwinkel kommen», erklärt Fauci.

Später im Video (ab Minute 44:30) spricht Bright zwar von einem potenziellen «Outbreak» (Ausbruch) in China, bezieht sich dabei aber auf einen Ableger der Vogelgrippe (H5N1).

Der in dem Facebook-Post behauptete «öffentliche Widerstand gegen gentechnische Therapien» und ein dafür angeblich benötigtes «krisenhaftes Ereignis» tauchen im Verlauf der Diskussion nicht auf. Auch über die vermeintlich einfache Manipulation von Coronaviren im Labor wird nicht gesprochen.

(Stand: 28.10.2021)

Links


Facebook-Post
(archiviert, Video archiviert)

Podiumsdiskussion (archiviert)

Video bei Youtube (archiviert)

Cambridge Dictionary (archiviert)

Oxford Learner‘s Dictionary (archiviert)

Fraunhofer-Institut (archiviert)

Gablers Wirtschaftslexikon (archiviert)

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