Urteile zu Wahlrecht und Klagen von Privatpersonen falsch interpretiert

28.10.2021, 11:57 (CEST)

Das deutsche Volk wählt den Bundestag, der beschließt bundesweit gültige Gesetze und wählt den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Das sind die Grundlagen des politischen Systems in Deutschland. Aber in einem Facebook-Post wird all das in Frage gestellt (archiviert). Mit Bezug auf mehrere Gerichtsurteile wird dort behauptet, das Deutsche Reich sei weiterhin «zuständig», deutsche Behörden seien eigentlich eingetragene Firmen und das Wahlgesetz sei verfassungswidrig. Sämtliche staatlichen Geldforderungen könne man ignorieren. Ergibt sich das wirklich aus den dort angeführten Urteilen?

Bewertung

Aus keinem der genannten Urteile lassen sich die oben stehenden Behauptungen ableiten. Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar Teile des Wahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt, dennoch sind alle bisher durchgeführten Bundestagswahlen gültig.

Fakten

Bei einer Suche auf der Seite des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) nach Urteilen mit Deutschland-Bezug stößt man nur auf ein einziges, das am 3. Februar 2012 gefällt wurde: «Juristische Immunität des Staates» («Jurisdictional Immunities of the State») Darin geht es um die Immunität der Bundesrepublik Deutschlands gegenüber Klagen von Privatpersonen. Dieses Prinzip hatte nach Meinung der deutschen Regierung Italien verletzt, da es einer Privatperson wegen in der Nazi-Zeit erlittenem Unrecht einen Entschädigungsanspruch gegenüber der BRD zugesprochen hatte.

Von einer «Zuständigkeit» des «Deutschen Reiches» ist dort nirgendwo die Rede. Bereits im allerersten Satz steht, dass die «Bundesrepublik Deutschland (im folgenden "Deutschland")» («the Federal Republic of Germany (hereinafter "Germany")» den IStGH angerufen habe. Das Gericht stellte damals fest, dass die Bundesrepublik Immunität vor solchen Klagen genießt. Von einer Zuständigkeit eines wie auch immer gearteten Deutschen Reiches ist darin nicht die Rede.

Die im Facebook-Post angeführte Seite dnb.com ist eine amerikanische Unternehmensdatenbank. Auch Regierungsbehörden werden dort wie Unternehmen aufgeführt und in die Gruppe «General Government Support» eingeteilt. Da stehen etwa deutsche Amtsgerichte, aber auch die Stadt New York oder das japanische Finanzministerium. Das ändert nichts daran, dass es sich dabei um öffentliche Einrichtungen und nicht um Unternehmen handelt.

Das nächste angeführte Urteil war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu sogenannten Überhangmandaten, die sich ergeben, wenn eine Partei mehr Direktmandate über Erststimmen erringt als ihr über die Zweitstimmen zustehen. In der Entscheidung aus dem Jahr 2012 wurde die entsprechende Regelung für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen, das zu ändern. Auf die Gültigkeit vergangener Bundestagswahlen hat es keine Auswirkungen. Ob die 2020 umgesetzte Neuregelung genügt, ist noch nicht abschließend geklärt. Ein Eilantrag von FDP, Grünen und der Partei Die Linke vor der Bundestagswahl 2021 wurde aber vom Gericht abgelehnt.

Auch Unter Paragraph 15 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) steht nur das Wort «weggefallen». Das ist seit 1950 so. Vor stand dort, «Die Gerichte sind Staatsgerichte» und weiter, dass es in Deutschland keine Privatgerichtsbarkeit und keine geistliche gibt. Da solche Gerichte gemäß §101 des Grundgesetzes unzulässig sind, war der Paragraph überflüssig geworden. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass es in Deutschland keine staatlichen Gerichte gibt.

(Stand: 25.10.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Suche auf der Seite des Internationalen Strafgerichtshofes (archiviert)

ICJ-Urteil «Juristische Immunität des Staates» («Jurisdictional Immunities of the State») (archiviert)

US-Unternehmensdatenbank dnb.com(archiviert)

Amtsgericht München bei dnb.com (archiviert)

Öffentliche Institutionen bei dnb.com (archiviert)

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Überhangmandaten (archiviert)

Ablehnung des Eilantrags durch das Bundesverfassungsgericht (archiviert)

§15 GVG (archiviert)

Alte Fassung §15 GVG bis zum 1.10.1950 (archiviert)

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