Redebeitrag kein Beweis für Todesfälle nach Impfungen

08.10.2021, 12:41 (CEST)

Noch nie sind in so kurzer Zeit so viele Menschen in Deutschland geimpft worden wie seit Beginn der Covid-19-Impfkampagne im vorigen Winter. Viele Menschen machen sich Sorgen über mögliche Nebenwirkungen. Diese Sorgen schürt ein Facebook-Post, der über ein Zitat behauptet, an den Covid-19-Impfungen seien mehr Menschen gestorben als an allen anderen Impfungen in den vergangenen 20 Jahren (archiviert). Ist das richtig?

Bewertung

Es gibt keine Belege für diese Behauptung. Zwar sind beim Paul-Ehrlich-Institut mehr Verdachtsmeldungen von Todesfällen nach Corona-Impfungen eingegangen als bei anderen Impfungen - unter anderem wegen des großen öffentlichen Interesses an den neuen Präparaten. Solche Meldungen stehen aber nur für einen zeitlichen Zusammenhang. Nur in 48 Fällen wird ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung für möglich oder wahrscheinlich gehalten.

Fakten

Das Zitat stammt aus einem Redebeitrag des Europa-Abgeordneten Joachim Kuhs (AfD) in einer Debatte im Europäischen Parlament. Er behauptet, in diesem Jahr seien mehr Menschen an den Folgen der Covid-19-Impfungen gestorben als an den Folgen aller anderen Impfungen in den vergangenen 20 Jahren. Kuhs erklärt in seiner Äußerung im Parlament aber nicht, wie er auf diese Zahlen kommt.

Möglicherweise geht es um die Verdachtsmeldungen von Impfkomplikationen, die etwa im UAW-Portal beim deutschen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) oder in der EUDRA-Vigilance-Datenbank bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA eingehen. Die dort gemeldeten Verdachtsfälle wurden schon häufiger falsch interpretiert.

Ein Trugschluss ist, dass die gemeldeten Verdachtsfälle zwingend mit der Impfung in Verbindung stehen. So schreibt das Paul-Ehrlich-Institut: «Ein in der Datenbank aufgeführtes Ereignis ist ein gemeldeter Verdachtsfall einer unerwünschten Reaktion im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung. Dies bedeutet also nicht ohne Weiteres, dass ein ursächlicher Zusammenhang existiert.»

Ähnlich drückt es die EMA auf ihrer Seite in englischer Sprache aus: Beobachtete Effekte stünden «nicht notwendigerweise in Verbindung mit oder seien verursacht vom betreffenden Arzneimittel».

Ein Beispiel: Wenn ein Mensch kurz nach der Impfung etwa an einem Herzinfarkt stirbt, kann das als Verdachtsfall an die jeweiligen Datenbanken gemeldet werden. Damit ist aber noch überhaupt nicht bewiesen, dass der Herzinfarkt von der Impfung ausgelöst wurde. Eine solche Meldung belegt nur den zeitlichen Zusammenhang: Der Herzinfarkt fand in einem relativ kurzen Zeitraum nach der Impfung statt. Die Person wäre aber auch ohne Impfung daran gestorben.

Das PEI meldet seit dem Jahr 2000 456 Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang nach - nicht durch - Impfungen. Um diese Daten einzusehen, muss man in der UAW-Datenbank auf den Unterpunkt «Auswertung» gehen. Für die noch recht neuen Covid-19-Impfungen meldet das Institut im Sicherheitsbericht vom 19.8.2021 1254 Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang. Dafür, dass in dem kurzen Zeitraum seit Beginn der Impfungen mehr Meldungen eingegangen sind, gibt es verschiedene Erklärungen.  

So schreibt das PEI auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa), «dass bei einer so großen Impfkampagne, dem damit verbundenen öffentlichen Interesse und noch dazu ganz neuen Impfstoffen mehr gemeldet wird als bei lange etablierten Impfstoffen und im Rahmen normaler Impfungen».

Außerdem sei ein aussagekräftiger Vergleich nicht möglich, weil die geimpfte Personengruppe stets eine Rolle spiele - etwa ob es sich «um alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, Kinder, Jugendliche, Säuglinge, Kleinkinder» handele. Die Covid-Impfstoffe wurden im Laufe der Kampagne fast der gesamten Bevölkerung über 12 Jahre und gerade auch sehr alten Menschen angeboten. Viele andere Impfstoffe hingegen wurden hauptsächlich nur bestimmten Gruppen verabreicht. Ein Beispiel sind die Impfungen, die für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen werden.

Außerdem spiele der Faktor Zeit eine Rolle. «Je mehr Impfungen pro Zeiteinheit verabreicht werden, umso mehr Verdachtsfallmeldungen jeder Art müssen also statistisch erwartet werden», schreibt das PEI dazu.

(Stand: 7.10.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Redebeitrag im EU-Parlament (archiviert)

UAW-Postal für Verdachtsmeldungen des Paul-Ehrlich-Instituts (archiviert)

EudraVidilance-Datenbank für Verdachtsmeldungen der Europäischen Arzneimittelagentur (archiviert)

Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 19.8.2021 (archiviert)

Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte zu empfohlenen Impfungen (archiviert)

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