Hochwasseropfer bekommen weit mehr als nur 200 Millionen Euro
13.8.2021, 11:34 (CEST)
Nach den Überflutungen in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli stehen viele Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. Der finanzielle Schaden ist riesig, so auch der Bedarf an schneller Hilfe. Einige fühlen sich in ihrer Not alleingelassen. Aber stimmt es, was unter anderem durch die AfD und in dieser Grafik (archiviert) bei Twitter verbreitet wird? Die Hochwasser-Soforthilfe mache mit 200 Millionen Euro nur einen verschwindend geringen Teil im Vergleich zu den Mitteln der Regierung für Europäische Union oder Flucht und Integration aus?
Bewertung
Die Behauptung führt in die Irre. Die bisher geleisteten Soforthilfen sind wesentlich höher und die noch geplanten Milliardenzahlungen werden hier gar nicht berücksichtigt. Zudem ist der Vergleich mit den Investitionen in EU und Flucht und Integration konstruiert.
Fakten
Nach der Flutkatastrophe haben Bund und Länder bereits finanzielle Mittel für Privatleute und Unternehmen zur Verfügung gestellt. So stellten sowohl Rheinland-Pfalz als auch Nordrhein-Westfalen zunächst jeweils etwa 200 Millionen Euro für «Soforthilfen» bereit. Ein Euro an Landesmittel wurde mit einem Euro an Bundesmitteln ergänzt – das heißt: in beiden Bundesländern standen jeweils rund 400 Millionen Euro zur Verfügung. Privathaushalte bekamen bisher maximal 3500 Euro, Landwirte und Selbstständige erhielten Soforthilfe von bis zu 5000 Euro pro Unternehmen. Die Mittel betrugen also weit mehr als nur 200 Millionen Euro.
Zudem könnte durch die Formulierung des Posts der Eindruck entstehen, diese Soforthilfe sei die einzige finanzielle Unterstützung, die Bund und Länder den Flutopfern bieten. Das ist falsch: Am Dienstag beschlossen sie nämlich einen Wiederaufbaufonds in Höhe von 30 Milliarden Euro. Der Fonds soll als Sondervermögen des Bundes eingerichtet werden. Geplant ist ein Bundesgesetz, das am kommenden Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebracht werden soll. Der Bundestag wird das Gesetz voraussichtlich in einer Sondersitzung am 25. August zum ersten Mal beraten. Der Bundesrat muss den Fonds billigen.
Zusätzlich hat das Bundesfinanzministerium die Finanzämter angewiesen, den Hochwasser-Geschädigten steuerliche Erleichterungen zu gewähren. Um eine Pleitewelle von Unternehmen zu verhindern, sollen eigentlich gesunde Firmen, die unverschuldet durch das Hochwasser in finanzielle Not geraten sind, außerdem vorübergehend keinen Antrag auf Insolvenz stellen müssen. Ein entsprechendes Gesetz brachte das Kabinett bereits auf den Weg, der Bundestag muss noch zustimmen. Die Bundesregierung hat ihre bisherigen Hilfen hier und hier aufgelistet.
Deutschland hat 2020 netto den Rekordbetrag von etwa 19,4 Milliarden Euro in den europäischen Gemeinschaftshaushalt eingezahlt – das ergeben Berechnungen der Deutschen Presse-Agentur. Mit diesen stimmt auch die genannte Beitragshöhe in dem Tweet überein. Die im Post genannten Kosten von 22,5 Milliarden Euro für Flucht und Integration decken sich ebenfalls mit den vom Bundestag aufgeführten Ausgaben für 2021.
Hier sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass demnach 44 Prozent, also 9,9 Milliarden Euro, in die Bekämpfung von Fluchtursachen flossen - also militärische Konflikte oder Naturkatastrophen. Im größeren Kontext dienen die Investitionen dazu, dass eine Flucht gar nicht mehr notwendig wird. Dieses Geld wird also nicht in Deutschland selbst für Flüchtlinge ausgegeben, wie möglicherweise aufgrund des Postings angenommen werden könnte.
Zudem wird in dem Tweet nicht deutlich, dass es sich bei den Beiträgen nicht allein um von der Bundesregierung festgelegte Finanzierungen handelt, sondern dass diese vom Bundestag abgesegnet wurden - dem demokratisch gewählten Parlament Deutschlands. Im Falle des Wiederaufbaufonds werden sie dort noch beraten. Ohne Zustimmung des Bundestages erhält die Bundesregierung nämlich aus der Staatskasse keinen Cent. Darüber, wie viel Geld der Bund wofür ausgibt, berät der Haushaltsausschuss des Bundestages im jährlichen Haushaltsverfahren.
Ebenso konstruiert wie die kontextlose Behauptung, die Hochwasser-Soforthilfe betrage 200 Millionen Euro, ist also ein direkter Vergleich mit den Beiträgen an die EU sowie für Flucht und Integration. Dasselbe gilt für die daraus resultierende, im Tweet dargestellte angebliche Prioritätensetzung der Bundesregierung.
(Stand: 12.08.2021)
Links
Wiederaufbaufonds (archiviert)
Anweisung des Bundesfinanzministeriums (archiviert)
Bundesregierung zu Hilfen (archiviert)
Soforthilfe und Aufbauprogramm (archiviert)
Milliarden für EU-Haushalt (archiviert)
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