Grüne wollen Klima-Veto-Recht innerhalb der Regierung, nicht gegenüber Bundestag

10.08.2021, 13:13 (CEST)

Ein Vorschlag der Grünen sorgt im Bundestagswahlkampf für Aufsehen: Die Partei möchte, sollte sie an der neuen Bundesregierung beteiligt sein, ein Klimaschutzministerium mit umfangreichen Befugnissen einrichten. Aber stimmt es, was unter anderem in einem Video (archiviert) und in den sozialen Netzwerken verbreitet wird: dass ein solches Ministerium sich mit einem Veto-Recht über Beschlüsse des Bundestags hinwegsetzen und diese blockieren könnte?

Bewertung

Falsch. Die Grünen haben vorgeschlagen, dass ein solches Ministerium ein Veto-Recht im Bundeskabinett, also innerhalb der Bundesregierung erhalten soll. Mit Entscheidungen des Parlaments hätte das nichts zu tun, sondern beträfe lediglich die Gesetzentwürfe der verschiedenen Ressorts der Bundesregierung. Ein vergleichbares Veto-Recht im Kabinett hat aktuell etwa bereits das Bundesfinanzministerium.

Fakten

Die Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, haben am 3. August 2021 ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorgestellt, das sie umsetzen wollen, sollte ihre Partei an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein.

In einem Forderungskatalog sprechen sich die Grünen für eine «Klima-Task-Force» innerhalb der Bundesregierung aus. Die Task-Force solle von einem «Klimaschutzministerium» geleitet werden, das es in dieser Form bislang noch nicht gibt. Die Grünen schreiben: «Dieses Ministerium wird zusätzlich mit einem Veto-Recht gegenüber den anderen Ressorts ausgestattet, sollten Gesetze vorliegen, die nicht Paris-konform sind.» Gemeint ist das Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015, das von Deutschland unterzeichnet wurde und das die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzen soll.

Nirgends in dem Grünen-Papier ist jedoch die Rede davon, dass ein solches Ministerium ein Veto gegen Entscheidungen des Bundestags oder anderer Parlamente einlegen könnte. Die Grünen beziehen sich nur auf das sogenannte Bundeskabinett, also jenes zentrale Gremium innerhalb der Bundesregierung, in dem die Ministerinnen und Minister zusammen mit dem Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin ihre politischen Vorhaben besprechen und beschließen, zum Beispiel Gesetzentwürfe.

Kabinettsintern abgestimmte Gesetzentwürfe werden anschließend in den Bundestag eingebracht. In der Regel haben die Vorhaben der Bundesregierung dort dank der Stimmen der Fraktionen der an der Regierung beteiligten Parteien eine Mehrheit. Nach dem Bundestag muss zudem der Bundesrat neuen oder geänderten Gesetzen zustimmen, wenn sie auch die Bundesländer betreffen.

Die Parlamente können aber auch Gesetze beschließen, die nicht von der Bundesregierung vorgeschlagen und ausgearbeitet werden. Dann geht die Initiative etwa von einer oder mehreren Oppositionsfraktionen aus oder vom Bundesrat.

Das nun von den Grünen im Zusammenhang mit einem neuen Klimaschutzprogramm geforderte Vetorecht bezieht sich jedoch nicht auf von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetze. Es geht um eine Möglichkeit, viel früher im Gesetzgebungsprozess Einspruch einzulegen - und zwar im Kabinett, also bei der Besprechung von Gesetzentwürfen innerhalb der Regierung. Wäre ein solches Veto möglich und hätte es Erfolg, könnte die Bundesregierung einen betroffenen Gesetzentwurf gar nicht erst in den Bundestag einbringen.

Ein solches Veto-Recht im Bundeskabinett gibt es bereits in ähnlicher Form für Finanzministerium, Justizministerium und Innenministerium. Es ist in der Geschäftsordnung der Bundesregierung geregelt, inhaltlich aber auf bestimmte Themen begrenzt. So heißt es etwa über den Finanzminister: «Beschließt die Bundesregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen oder ohne die Stimme des Bundesministers der Finanzen, so kann dieser gegen den Beschluß ausdrücklich Widerspruch erheben.»

Die Grünen fordern künftig eine solche Möglichkeit für ein neues Klimaschutzressort. Es geht offenbar darum, bei allen Gesetzentwürfen im Kabinett zu prüfen, wie stark dabei der Klimaschutz berücksichtigt wird und ob die Vorhaben möglicherweise den international gemachten Zusagen Deutschlands zuwiderlaufen. Um eine Blockade von im Parlament beschlossenen oder bereits geltenden Gesetzen geht es jedoch nicht.

Zumindest im Ansatz gibt es ein Prinzip wie das nun von den Grünen vorgeschlagene innerhalb der Bundesregierung bereits: Das Bundesumweltministerium zieht jährlich Bilanz, wie viele Tonnen Treibhausgase in verschiedenen Bereichen («Sektoren») freigesetzt wurden. Wird das festgelegte Budget in einem Sektor überschritten, muss das zuständige Ministerium laut Klimaschutzgesetz ein Sofortprogramm für mehr Treibhausgasreduktion vorlegen.

Die Falschbehauptung über ein angeblich von den Grünen gefordertes Veto-Recht für ein Klimaschutzministerium gegenüber dem Bundestag wurde Anfang August auch von CDU-Bundestagskandidat Friedrich Merz verbreitet.

Das Blog «Anti-Spiegel», das unter anderem das Video mit der Falschbehauptung verbreitet hat, räumt nur in einem nachträglich hinzugefügten Hinweis zu seinem Artikel ein, dass das Veto-Recht nicht den Bundestag betrifft. Dass sich das Veto-Recht allein auf das Kabinett beziehen würde, stand aber bereits beim Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels fest - die Grünen hatten ihr Sofortprogramm da bereits vollständig auf ihre Website gestellt.

(Stand: 10.8.2021)

Links

«Tagesschau.de» über Grünen-Präsentation des Sofortprogramms (3.8.2021) (archiviert)

Forderungskatalog der Grünen (3.8.2021) (archiviert)

Informationen zum Pariser Klimaabkommen (archiviert)

Informationen zum Bundeskabinett (archiviert)

Bundestag über das Gesetzgebungsverfahren (archiviert)

Geschäftsordnung der Bundesregierung (archiviert)

Klimabilanz 2020 von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt (16.3.2021) (archiviert)

§ 8 Bundes-Klimaschutzgesetz zu Sofortprogrammen (archiviert)

Tweet von CDU-Politiker Friedrich Merz (4.8.2021) (archiviert)

Video des «Anti-Spiegel» (8.8.2021) (Youtube-Post archiviert, Video archiviert)

Artikel beim «Anti-Spiegel» (3.8.2021) (archiviert)

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