Menschen in den Hochwassergebieten bekommen erheblich mehr als nur 300 Euro

06.08.2021, 11:09 (CEST)

Viele Menschen haben durch die verheerenden Überflutungen in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli ihr Leben verloren – viele Überlebende stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Der finanzielle Schaden ist riesig, so auch der Bedarf an schneller Hilfe. Aber stimmt es, was in einem Tweet (archiviert) zu lesen ist: Dass es für Flutopfer jeweils nur «etwa lächerliche 300 Euro Hilfe» gibt, während ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling den Staat im Monat 5000 Euro kostet?

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Die Behauptung führt in die Irre. Die bisher geleisten und noch geplanten Zahlngen sind wesentlich höher. Zudem ist der Vergleich mit den für die Betreuung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge anfallenden Kosten, die kaum seriös beziffert werden können, konstruiert.

Fakten

Nach der Flutkatastrophe haben Bund und Länder bereits finanzielle Mittel für Privatleute und Unternehmen zur Verfügung gestellt. So stellten sowohl Rheinland-Pfalz als auch Nordrhein-Westfalen zunächst jeweils etwa 200 Millionen Euro für «Soforthilfen» bereit. Ein Euro Landesmittel wurde durch einen Euro Bundesmittel ergänzt – das heißt, dass in beiden Bundesländern jeweils rund 400 Millionen Euro zur Verfügung standen. Privathaushalte bekamen bisher maximal 3500 Euro, Landwirte und Selbstständige erhielten Soforthilfe in Höhe von bis zu 5000 Euro pro Unternehmen.

Zusätzlich wird ein Wiederaufbauprogramm den Menschen helfen, das vor allem von der Bundesregierung geplant wird. Dabei geht es um einen Wiederaufbaufonds für zerstörte Infrastruktur. Die Höhe dieses Fonds steht noch nicht fest, ein politischer Beschluss wird bei einem Treffen von Bund und Ländern voraussichtlich noch im August fallen.

Nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz dürfte der Wiederaufbau nach dem diesjährigen Hochwasser mehr als sechs Milliarden Euro kosten – so viel hätten Bund und Länder nach dem verheerenden Hochwasser im Jahr 2013 für den Wiederaufbau in den damals betroffenen Gebieten ausgegeben. Der SPD-Politiker verspricht trotz der wohl beispiellosen Schäden nach den Überflutungen im Juli umfassende finanzielle Hilfen: «Was man mit Geld in Ordnung bringen kann, das werden wir mit Geld in Ordnung bringen», beteuerte er kürzlich bei einem Besuch im Katastrophengebiet.

Die Bundesregierung hat ihre bisherigen Hilfen hier und hier aufgelistet. Dazu gehört unter anderem auch eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums an die Finanzämter, den Hochwasser-Geschädigten steuerliche Erleichterungen zu gewähren. Zusätzliche finanzielle Unterstützung könnte auch noch aus einem EU-Solidaritätsfonds für Naturkatastrophen kommen.

Um vor allem im Westen Deutschlands eine Pleitewelle von Unternehmen zu verhindern, sollen eigentlich gesunde Firmen, die unverschuldet durch das Hochwasser in finanzielle Not geraten sind, außerdem vorübergehend keinen Antrag auf Insolvenz stellen müssen. Ein entsprechendes Gesetz brachte das Kabinett am Mittwoch auf den Weg, der Bundestag muss noch zustimmen.

Gemäß der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und der Gesetze der Europäischen Union haben unbegleitete minderjährige Flüchtlinge das Recht auf besonderen Schutz. Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums sagte der Deutschen Presse-Agentur, die amtliche Statistik weise keine konkreten Daten zu den durchschnittlichen Kosten für ihre Unterbringung, Versorgung und Unterstützung aus.

Die Kosten seien maßgeblich abhängig von der Art der konkreten Unterbringung und individuellen Bedürfnissen der jungen Menschen. Während manche besondere Therapien oder Betreuung benötigten, bräuchten andere lediglich Unterstützung etwa im Bereich der Ausbildung oder für Freizeitaktivitäten wie Sport. «Die Spannbreite ist daher enorm», so die Sprecherin – die Datenlage bei den Jugendämtern sei also sehr unterschiedlich und nur bedingt belastbar.

Fest steht: Die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge kann, abhängig von ihren individuellen Bedürfnissen, sehr teuer sein. Das Geld landet aber keineswegs in den Händen der minderjährigen Flüchtlinge – ein Eindruck, der durch die Formulierung des Twitter-Posts entstehen könnte. Vielmehr werden dadurch die Gehälter beispielsweise von Pädagogen und Sozialarbeitern beglichen.

Ebenso wenig haltbar wie die kontextlose Behauptung, die Flutopfer erhielten lediglich etwa 300 Euro, ist also ein direkter Vergleich zu den monatlichen Kosten für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Deutschland, wie hier nahegelegt wird.

(Stand: 05.08.2021)

Links

Post auf Twitter (archiviert)

Post auf Facebook (archiviert)

geteilter Post auf Facebook (archiviert)

RND-Beitrag: Olaf Scholz zu den Flutschäden (archiviert)

Bundesregierung zu Hilfen (archiviert)

Bundeshilfen (archiviert)

Anweisung des Bundesfinanzministeriums (archiviert)

BR-Beitrag: EU-Solidaritätsfonds bei Naturkatastrophen (archiviert)

Diakonie Deutschland zum Recht auf besonderen Schutz bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (archiviert)

Bericht der Bundesregierung zur Situation unbegleiteter Minderjähriger in Deutschland 2019 (archiviert)

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