Keine Belege für angebliches Zitat von Helmut Schmidt über Muslime
2.8.2021, 16:01 (CEST)
Der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt war für meinungsstarke Aussprüche bekannt, aber immer wieder wurden ihm auch Sätze in den Mund gelegt. Nicht alles, was in Anführunsgzeichen steht, erweist sich deshalb als echtes Zitat. «Muslime können sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren. Wer bei Muslimen von Integration spricht ist entweder dumm oder aber er führt Böses im Schilde. Ein Muslim müsste seinen Glauben aufgeben um überhaupt integrationsfähig zu werden. Das zu verlangen ist unanständig und unangemessen.» Hat der 2015 gestorbene Altkanzler das wirklich so gesagt, wie auf Facebook (archiviert) behauptet wird?
BEWERTUNG: Es gibt keinen Beleg dafür, dass dieses angebliche Zitat tatsächlich von Helmut Schmidt stammt.
FAKTEN: Eine Suche in der Pressedatenbank Genios führt nicht zum Zitat. Zu finden ist die Bildmontage aber auf der Webseite «Dr Coldwell Report». Auch in sozialen Netzwerken wird das Zitat mit derselben Bildmontage immer wieder Schmidt zugeschrieben - zu finden zum Beispiel auf der Facebook-Seite von AfD-Politiker Frank-Christian Hansel (archiviert) mit über 1000 «Likes». Quellenangaben oder eine zeitliche Einordnung gibt es dort nicht.
Auf Nachfrage teilte die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Hamburg der dpa mit, das Zitat sei dort niemandem bekannt. Recherchen in Forschungsliteratur, Schmidt-Veröffentlichungen und im Helmut Schmidt-Archiv seien ergebnislos geblieben.
Es gibt also keine Belege dafür, dass Schmidt sich jemals so geäußert hat, wie in der Bildmontage behauptet. Gegner der Migrationspolitik der Bundesregierung nehmen ihn jedoch immer wieder für rechte Positionen in Anspruch. Das könnte damit zusammenhängen, dass Schmidt sich im Laufe seines Lebens durchaus kritisch zur Migrationspolitik geäußert hat.
So sagte Schmidt laut einer dpa-Meldung vom 1. Januar 2001 dem «Tagesspiegel»: «Die Deutschen haben den Fehler gemacht, zu großzügig zu sein bei der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland. Das war ein Fehler, weil sich herausstellte, dass die Deutschen nicht ausreichend dazu erzogen sind, mit diesen Ausländern friedlich und als Gastgeber umzugehen. Nun müssen wir mal ein bisschen bremsen.»
«Der Spiegel» berichtete im November 2004, Schmidts «Multikulti-Schelte» habe Empörung ausgelöst. Der Altkanzler hatte in einem Interview mit dem «Hamburger Abendblatt» gesagt, das «Konzept von multikulti» sei mit einer demokratischen Gesellschaft schwer vereinbar. Es sei ein Fehler gewesen, zu Beginn der 1960er-Jahre so viele «Gastarbeiter aus fremden Kulturen» ins Land zu holen. Die entscheidende Ursache für das Misslingen der Integration sei die «Feindlichkeit», mit der die christlichen Kirchen die Europäer über Jahrhunderte gegenüber anderen Religionen erzogen hätten, insbesondere mit Blick auf das Judentum und den Islam. Hinzu komme, «dass sich viele Ausländer gar nicht integrieren wollen».
2010 hatte er sich in einem Interview mit «Bild» auf die Seite von Autor und Ex-Politiker Thilo Sarrazin geschlagen und erklärt, dieser habe Recht, «was die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit vieler Moslems betrifft». Der frühere Berliner Finanzsenator Sarrazin wurde 2020 aus der SPD ausgeschlossen. Auslöser waren seine islamkritischen Bücher, mit denen er gegen die Grundsätze der Partei verstoßen habe.
Immer wieder warnte Schmidt aber auch vor Rassismus und verwahrte sich gegen die Vereinnahmung durch rechte Kreise. Im Januar 2015 warnte er angesichts von Pegida-Demonstrationen vor «dumpfen Vorurteilen, Fremdenhass und Intoleranz». Franziska Zollweg, die für die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung recherchiert hat, ergänzte, Schmidt habe sich zwar kritisch über multikulturelle Gesellschaften geäußert. Die Hauptursache für mögliche Probleme aber habe er eher in der Integrationspolitik und dem mangelnden Integrationswillen der Deutschen gesehen.
(Stand: 30.7.2021)
Links
Facebook-Post Frank-Christian Hansel (archiviert)
Archiviert: Dr. Coldwell Report
Leserkommentar im Handelsblatt (archiviert)
Zeitungskommentar az-online.de (archiviert)
Tagesspiegel-Zitat in der taz (archiviert)
Multikulti-Schelte von Schmidt (archiviert)
Interview mit dem Abendblatt (archiviert)
Schmidt steht Sarrazin zur Seite (handelsblatt) (archiviert)
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