Rechenmodell falsch interpretiert: Kein Beleg für vermeintliche «Erfindung» von Corona-Toten

15.07.2021, 15:16 (CEST)

Seit Beginn der Pandemie sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) fast 92.000 Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben. Über die Sterblichkeitsrate von Covid-19 gibt es intensive wissenschaftliche Debatten - aber mitunter auch Falschinformationen. Ein Blogbeitrag, der zurzeit auf Facebook kursiert, behauptet nun: «85% der Corona-Toten sind erfunden.» In dem Text steht, ein Mathematiker habe berechnet, dass 85 Prozent der Corona-Toten unabhängig von ihrer Infektion nur noch durchschnittlich zehn Wochen zu leben gehabt hätten. Ist da etwas dran?

Bewertung

Der Mathematiker, auf den sich der Artikel bezieht, hat mit den 85 Prozent lediglich eine Annahme für sein Rechenmodell aufgestellt. Die Prozentzahl ist kein Ergebnis seiner Rechnung. Über eine vermeintliche «Erfindung» von Corona-Toten sagt er ebenfalls nichts.

Fakten

Der Blogartikel bezieht sich auf einen Beitrag auf einer anderen Seite. Dort schreibt ein Mann, der nach eigenen Angaben Mathematiker ist über eigene Rechnungen: Er hat versucht zu berechnen, wie viele Lebensjahre Corona-Tote verloren haben. Eine solche Rechnung hatte zuvor auch das RKI in größerem Umfang und sehr viel detaillierter erstellt und im «Deutschen Ärzteblatt» veröffentlicht.

Der Mathematiker schreibt über sein Rechenmodell: «Dem Algorithmus zur Abschätzung der Zahl der Covidtoten liegt die Annahme zugrunde, dass der Großteil der Verstorbenen eine Lebensperspektive von zehn Wochen gehabt hat.» Es handelt sich also um eine Hypothese, nicht um ein Ergebnis. Warum der Mathematiker ausgerechnet zehn Wochen als Hypothese wählt, schreibt er nicht.

Weiter sagt er über sein Rechenmodell: «Konkret wird davon ausgegangen, dass dies für 85% der Verstorbenen gilt. Für die verbleibenden 15% ist eine längere Überlebenszeit unterstellt worden. Die gewählte Aufteilung von 85% (kurze Lebensperspektive) zu 15% (längere Perspektive) kann verständlicherweise nur eine erste grobe Näherung für die tatsächlichen Überlebenschancen sein.» Hier macht er also selbst deutlich, dass es sich um keinen exakten Wert handelt.

Von einer vermeintlichen Erfindung von Toten ist im Beitrag des Mathematikers an keiner Stelle die Rede. Für diese Behauptung gibt es keine Belege.

Zwar liegt die eigentliche falsche Information darin, wie der Blogbeitrag die Rechnung des Mathematikers falsch zusammenfasst. Allerdings ist auch die Berechnung selbst grob vereinfachend und teils nicht nachvollziehbar. So werden etwa Covid-Tote mit Verkehrstoten in Bezug gesetzt - obwohl diese beiden Todesursachen von unterschiedlichen Faktoren abhängen.

Links

Zugrundeliegender Beitrag mit Rechenmodell (archiviert)

Beitrag von RKI-Forschenden über durch Tod und Krankheit verlorene Lebensjahre im Verlauf der Pandemie (archiviert)

Blogbeitrag mit der falschen Behauptung (archiviert)

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