Für Helmut-Schmidt-Satz zur Migration fehlt jeder Beleg
2.8.2021, 09:04 (CEST), letztes Update: 2.8.2021, 12:46 (CEST)
Der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt war als «Schmidt Schnauze» für provokante Sprüche bekannt. Nun wird ihm folgender Satz zugeschrieben: «Wem Deutschland nicht passt, der darf gerne gehn.» Hat der 2015 gestorbene Altkanzler das wirklich so gesagt, wie auf Facebook (archiviert) behauptet wird?
Bewertung
Es gibt keinen Beleg dafür, dass das angebliche Zitat tatsächlich von Helmut Schmidt stammt.
Fakten
Eine Suche in der Pressedatenbank Genios ergibt keinen Treffer. Eine Suche bei Google ist erfolgreich: Das Zitat taucht in einem Leserkommentar zu einem Artikel des «Handelsblatts» vom 29. Oktober 2014 auf. Thema: «Neuer Migrationsbericht: Noch lange keine Chancengleichheit in Deutschland». Der Verfasser des Leserbriefs schreibt das Zitat Helmut Schmidt zu.
Mittlerweile taucht das Zitat immer wieder auf - nicht nur auf sogenannten Memes-Seiten im Internet, sondern auch in Zeitungs-Kommentaren. Neben Facebook wird die angebliche Äußerung auch auf Twitter geteilt - allerdings ohne sie inhaltlich einzuordnen oder eine überzeugende Quelle dafür zu nennen.
Auf Nachfrage teilte die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Hamburg der dpa mit, das Zitat sei dort niemandem bekannt. Auch Recherchen in Forschungsliteratur, Schmidt-Veröffentlichungen und im Helmut Schmidt-Archiv seien ergebnislos geblieben.
Es sind also keine Belege dafür zu finden, dass Schmidt sich jemals so geäußert hat, wie in der Bildmontage suggeriert wird. Gegner der Migrationspolitik der Bundesregierung nehmen ihn jedoch immer wieder für rechte Positionen in Anspruch. Das könnte damit zusammenhängen, dass Schmidt sich im Laufe seines Lebens durchaus kritisch zur Migrationspolitik geäußert hat.
So sagte Schmidt laut einer dpa-Meldung vom 1. Januar 2001 dem «Tagesspiegel»: «Die Deutschen haben den Fehler gemacht, zu großzügig zu sein bei der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland. Das war ein Fehler, weil sich herausstellte, dass die Deutschen nicht ausreichend dazu erzogen sind, mit diesen Ausländern friedlich und als Gastgeber umzugehen. Nun müssen wir mal ein bisschen bremsen.»
«Der Spiegel» berichtete im November 2004, Schmidts «Multikulti-Schelte» habe Empörung verursacht. Der Altkanzler hatte in einem Interview mit dem «Hamburger Abendblatt» gesagt, das «Konzept von multikulti» sei mit einer demokratischen Gesellschaft schwer vereinbar. Es sei ein Fehler gewesen, zu Beginn der 1960er-Jahre so viele «Gastarbeiter aus fremden Kulturen» ins Land zu holen. Die entscheidende Ursache für das Misslingen der Integration sei aber die «Feindlichkeit», mit der die christlichen Kirchen die Europäer über Jahrhunderte gegenüber anderen Religionen erzogen hätten - insbesondere mit Blick auf das Judentum und den Islam. Hinzu komme, «dass sich viele Ausländer gar nicht integrieren wollen».
2010 hatte er sich in einem Interview mit «Bild» auf die Seite von Autor und Ex-Politiker Thilo Sarrazin geschlagen und erklärt, dieser habe Recht, «was die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit vieler Moslems betrifft». Der frühere Berliner Finanzsenator Sarrazin wurde 2020 aus der SPD ausgeschlossen. Auslöser waren seine islamkritischen Bücher, mit denen er gegen die Grundsätze der Partei verstoßen habe.
Immer wieder warnte Schmidt aber auch vor Rassismus und verwahrte sich gegen die Vereinnahmung durch rechte Kreise. Im Januar 2015 zum Beispiel warnte er angesichts von Pegida-Demonstrationen vor «dumpfen Vorurteilen, Fremdenhass und Intoleranz».
Die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung ergänzte, Schmidt habe sich zwar mehrfach kritisch über multikulturelle Gesellschaften geäußert. Die Hauptursache für mögliche Probleme aber habe er eher in der Integrationspolitik und dem mangelnden Integrationswillen der Deutschen gesehen.
(Stand: 30.07.2021)
Links
Leserkommentar im Handelsblatt (archiviert)
Zeitungskommentar az-online.de (archiviert)
Tagesspiegel-Zitat in der taz (archiviert)
Multikulti-Schelte von Schmidt (archiviert)
Interview mit dem Abendblatt (archiviert)
Schmidt steht Sarrazin zur Seite (handelsblatt) (archiviert)
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