Vermeintlicher kanadischer Brot-Dieb ist Kokain-Kurier aus den USA

In Kanada soll ein alter Mann wegen Diebstahls von Brot vor Gericht gestanden haben. Der Geständige sei zu zehn Dollar Schadenersatz verurteilt worden, die der Richter selbst in die Gerichtskasse eingezahlt habe. Zudem habe er alle Anwesenden im Gerichtssaal ebenfalls zur Zahlung von zehn Dollar verurteilt. Dies wird in mehreren Facebook-Posts (u.a. hier (archiviert) und hier (archiviert) gemeinsam mit dem Bild eines alten Mannes verbreitet.

Bewertung

Für diese Behauptung gibt es keine Belege. Vielmehr erinnert die Geschichte an eine Anekdote über den früheren New Yorker Bürgermeister Fiorello La Guardia aus den 1930er Jahren, für die es aber ebenfalls keine Belege gibt. Das in den Posts verbreitete Bild zeigt zweifelsfrei keinen alten Mann aus Kanada, der Brot stahl, sondern einen 2014 verurteilten Drogenkurier in den USA.

Fakten

Dafür, dass sich die in den Posts dargestellte Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, finden sich keine offiziellen Belege. Mehrere Aspekte sprechen jedoch dagegen:

Es werden weder Zeitpunkt, noch Ort, Gericht oder der Name des angeblich Angeklagten oder des Richters genannt. Dies steht schon im Widerspruch zur Abbildung des angeblichen Angeklagten.

Das angebliche Urteil des Richters, das alle anwesenden Personen im Gerichtssaal zur Zahlung von je zehn Dollar verpflichten soll, kann zudem nicht geltendem Recht in Kanada entsprechen. Dort gilt gemäß der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten (archiviert) das Grundrecht der Unschuldsvermutung nach Paragraf 11 (d):

«Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, hat das Recht: [...] bis zum gesetzlichen Beweis der Schuld in einer fairen und öffentlichen Anhörung durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht als unschuldig zu gelten».

Vorausgesetzt, der Richter hätte die Anwesenden tatsächlich verurteilen wollen, so hätten diese zuvor einem ordentlichen Gerichtsverfahren unter Angabe des konkreten Vergehens gemäß Paragraph 11 (a) der Charta unterzogen werden müssen.

Ein Verfahren, das in einem so spektakulären Urteil und mit der Frage nach vielfacher Grundrechtsverletzung und der Rechtmäßigkeit des Verfahrens endete, wäre auch entsprechend medial dokumentiert worden.

Neben diesen Aspekten gibt es auch klare Hinweise auf Fiktion:

Der Mann auf dem Foto zeigt keinen Kanadier, sondern den US-amerikanischen Veteranen Leo Sharp an dessen 90. Geburtstag. Sharp wurde an jenem 7. Mai 2014 (archiviert) in Detroit zu drei Jahren Haft wegen seiner Tätigkeit als Kokain-Kurier verurteilt (archiviert). Das vor der Verhandlung entstandene Foto wird auf zahlreichen Nachrichtenseiten im Internet (u.a. hier, hier und hier) verwendet und weist den Journalisten Ed White von Associated Press als Urheber aus.

Dass es sich bei der Geschichte vom kanadischen Brot-Dieb um eine Erfindung handelt, legt auch der Umstand nahe, dass eine sehr ähnliche und viel ältere Anekdote existiert, die in unterschiedlichen Varianten (etwa hier oder hier) über den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Fiorello La Guardia erzählt wird.

Wenngleich Strafmaß und Geschlecht der angeklagten Person in unterschiedlichen Varianten kursieren, erzählen diese Anekdoten im Kern von einem angeblichen Ereignis aus dem Jahr 1935, bei dem der New Yorker Bürgermeister ähnlich wie im angeblichen kanadischen Fall gehandelt haben soll. Das Faktencheck-Portal Snopes (archiviert) findet zwar keine eindeutigen Belege für die Erzählung über den ehemaligen New Yorker Bürgermeister, kann sie aber auch nicht vollständig falsifizieren.

(Stand: 23.06.2021)