Zahlen im Sicherheitsbericht beziehen sich auf Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen

17.6.2021, 11:29 (CEST)

Einen neuen Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts über die in Deutschland eingesetzten Corona-Impfstoffe nimmt eine Webseite (archiviert) zum Anlass, über angeblich Zehntausende Fälle von Nebenwirkungen zu schreiben. Aber werden derart viele Fälle tatsächlich durch den Bericht belegt?

Bewertung

Die Gesamtzahlen im Sicherheitsbericht beziehen sich auf Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen, nicht auf bestätigte Fälle. Allgemein bestätigt ist lediglich ein zeitlicher, nicht aber ein ursächlicher Zusammenhang zu Corona-Impfungen.

Fakten

Im «Corona-Blog» werden die Zahlen des für die Impfstoffsicherheit zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) falsch interpretiert. Das PEI hat am 10. Juni 2021 einen seiner regelmäßig aktualisierten Sicherheitsberichte veröffentlicht. Darin finden sich zwar die im Blogeintrag zitierten Zahlen, allerdings in anderem Kontext.

Seit dem Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus in Deutschland sind dem Institut demnach 79 106 Fälle gemeldet worden, bei denen ein Verdacht auf eine Nebenwirkung oder Impfkomplikation besteht. Es handelt sich jedoch nicht um bestätigte Nebenwirkungen oder Komplikationen - anders als etwa in der Überschrift des Blogeintrags oder in einer der Tabellen behauptet, wo jeweils der Hinweis auf den Verdacht fehlt. Auch mit Blick auf 8134 schwerwiegende Fälle geht es bislang lediglich um den Verdacht. Dementsprechend sind auch die im Blog angestellten Wahrscheinlichkeitsrechnungen falsch.

Der Grund ist die Methodik, mit der das PEI die Fälle sammelt: Neben Meldungen von Ärzten und Gesundheitsämtern über mögliche Fälle von Nebenwirkungen können auch Impflinge und deren Angehörige zum Beispiel über Online-Meldesysteme solche Verdachtsfälle melden.

Das PEI schreibt in seinem Sicherheitsbericht: «Das Paul-Ehrlich-Institut fasst alle Meldungen, die es erhält, unabhängig vom ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung zusammen. Im Sinne der frühzeitigen Erkennung von möglicherweise neuen Risikosignalen ist es wichtig, die Meldeschwelle niedrig anzusetzen. Dies bedeutet, dass auch Meldungen in rein zeitlichem und nicht notwendigerweise ursächlichem Zusammenhang mit der Impfung bedeutsam sind.»

Zu einer «großen Zahl von Berichten» hole man zusätzliche Informationen ein, so dass unter Umständen ein ursächlicher Zusammenhang festgestellt werden kann. Für die Gesamtzahlen nutzt das PEI in seinen Berichten aber lediglich die Formulierung «Verdachtsfälle».

Allerdings können auch diese wichtige Hinweise für die Impfstoffsicherheit geben: Das PEI führt mit den erhaltenen Meldungen eine sogenannte «Observed-to-expected»-Analyse durch. «Dabei wird die Häufigkeit der dem Paul-Ehrlich-Institut nach Impfung gemeldeten unerwünschten Ereignisse mit den statistisch zufälligen und zu erwartenden Häufigkeiten in einer vergleichbaren (nicht geimpften) Bevölkerung unter Berücksichtigung verschiedener Zeitfenster verglichen.

Ergibt sich eine signifikant höhere Melderate für ein Ereignis nach Impfung, als es statistisch zufällig in einer vergleichbaren Population zu erwarten wäre, geht das Paul-Ehrlich-Institut von einem Risikosignal aus, das dann durch zusätzliche, zumeist epidemiologische Studien weiter untersucht werden sollte», so das Institut.

Über ein solches statistisches Verfahren fiel der Behörde etwa im März auf, dass nach Impfungen mit dem Corona-Impfstoff der Firma Astrazeneca mehr Fälle von Hirnthrombosen auftraten, als ohne Impfung zu erwarten gewesen wäre. Genauere Untersuchungen der Universität Greifswald ergaben, dass ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich ist. Nachdem der Einsatz des Impfstoffs kurzzeitig ausgesetzt worden war, empfiehlt die Ständige Impfkommission ihn nur noch für Menschen, die mindestens 60 Jahre alt sind. Falsch ist aber auch die pauschale Aussage im «Corona-Blog», die Impfung löse Thrombosen aus. Tatsächlich handelt es sich um wenige Fälle, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich ist.

Im Blog wird auch das «Observed-to-expected»-Verfahren falsch interpretiert. Im Blogeintrag wird die Formulierung «erwartbare Impfnebenwirkungen» verwendet. Mit «erwartet» bezeichnet das PEI aber lediglich medizinische Komplikationen, die in einer Population mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit so oder so auftreten würden - unabhängig von Impfungen. Aus dem Sicherheitsbericht geht also nicht hervor, dass das Institut die genannten Zahlen an tatsächlichen Impfnebenwirkungen erwartet hat.

(Stand: 16.06.2021)

Links

Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (10.06.2021)(archiviert)

PEI über Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen (16.03.2021)(archiviert)

Untersuchung der Universität Greifswald (Preprint, 20.04.2021)(archiviert)

Empfehlung der Ständigen Impfkommission zu Astrazeneca (01.04.2021)(archiviert)

«Corona-Blog»-Artikel(archiviert)

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