Streit um nicht gezahlten Rundfunkbeitrag: kein Urteil, sondern Erzwingungshaft
17.6.2021, 15:09 (CEST)
Ist ein Mann zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er den Rundfunkbeitrag nicht bezahlt hat? Das legen Beiträge auf Facebook (archiviert) und Telegram (archiviert) nahe. Aber ist die Darstellung des Falls korrekt?
Bewertung
In dem beschriebenen Fall handelt es sich nicht um ein straf- oder zivilrechtliches Urteil, sondern um eine sogenannte Erzwingungshaft, die ein Gericht per Haftbefehl erlassen hat. Diese hängt auch nicht direkt mit den nicht gezahlten Rundfunkbeiträgen zusammen. Der Mann weigert sich, seine Vermögensverhältnisse offenzulegen.
Fakten
Der Fall des Mannes aus der Stadt Borken im Münsterland beschäftigt Behörden und Justiz bereits seit Monaten. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat sich schon mit dem Thema beschäftigt, eine Beschwerde jedoch abgewiesen.
Der Mann hat ausstehende Rundfunkbeiträge nicht bezahlt. Diese müssen in Deutschland gemäß Rundfunkbeitragsstaatsvertrag für jede Wohnung entrichtet werden - unabhängig davon, ob man die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch nutzt.
Die Stadt Borken als zuständige sogenannte Vollstreckungsbehörde wollte anknüpfend daran eine Vermögensauskunft einholen, die der Mann jedoch verweigert. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) als Gläubiger beantragte daraufhin einen Haftbefehl, der gerichtlich erlassen wurde. Mehrere Beschwerden dagegen wurden von Gerichten zurückgewiesen. Auch die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos. Der Mann ist seit Februar in Haft.
Juristisch handelt es sich um eine sogenannte Erzwingungshaft, mit der der Mann zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse gebracht werden soll. Sie wird in § 802g der Zivilprozessordnung geregelt. Direkt auf die nicht gezahlten Beiträge bezieht sich die Haft nicht. Eine Erzwingungshaft kann bis zu sechs Monate dauern, ist jedoch etwas anderes als eine Haftstrafe.
Auch handelt es sich hier, anders als auf Facebook dargestellt, nicht um ein Urteil, sondern um einen von einem Gericht erlassenen Haftbefehl, wie das Landgericht Münster auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) betonte. Hintergrund ist, dass es gegen den Mann einen sogenannten vollstreckbaren Titel gibt. Eine Straftat liegt aber nicht vor.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Mann vorzeitig aus der Erzwingungshaft kommen könnte: Er müsste seine Vermögensverhältnisse offenlegen - oder der WDR als Gläubiger könnte den Antrag zurückziehen. Im Portal «Übermedien» verwies der Sender aber lediglich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu dem Fall. Zu einer Erzwingungshaft komme es nur «in absoluten Ausnahmefällen».
Richtig an der auf Facebook verbreiteten Grafik ist, dass die Kosten für die Unterbringung im Gefängnis zunächst vom Gläubiger, also vom WDR getragen werden müssen. Dieser könnte sie aber von dem Mann zurückfordern.
(Stand: 17.6.2021)
Links
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (19.4.2021) (archiviert)
Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (archiviert)
Beschluss des Amtsgerichts Borken nach Beschwerde (24.2.2021) (archiviert)
Weiterer Beschluss des Amtsgerichts (3.3.2021) (archiviert)
Beschluss des Landgerichts Münster (12.3.2021) (archiviert)
§ 802g Zivilprozessordnung (archiviert)
Informationen zu vollstreckbaren Titeln (archiviert)
Bericht von «Übermedien» (11.6.2021) (archiviert)
Gerichtskostengesetz mit Informationen zu Haftkosten (archiviert)
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com