Gekaufte Stühle: Kneipen-Anekdote nicht zu belegen - Foto schon von 2020
27.5.2021, 15:59 (CEST)
Rund um die Corona-Pandemie kursieren seit Monaten irreführende und falsche Informationen. Zuletzt ging es vermehrt um die Gastronomie und damit in Zusammenhang stehende Regelungen. So kursieren etwa Facebook-Postings (hier archiviert), in denen auf einem Bild der Außenbereich eines Cafés zu sehen ist, neben dem Polizisten stehen. Darunter steht, dass ein Kneipenbesitzer in den Niederlanden seine «Terrassenstühle» inklusive zwei Bier verkauft habe. Die Menschen sollen also auf ihren eigenen Sesseln dort gesessen sein, weshalb die «lästigen Vollstrecker» nichts dagegen tun hätten können. Daraufhin hätten die Gäste die Sessel zurück an die Kneipe gespendet.
Bewertung
Das Foto stammt bereits aus dem Juni 2020. Zu diesem Zeitpunkt war es erlaubt ein Lokal zu besuchen. Der Lokal-Manager sowie die Polizei dementieren die im Posting beschriebene Begebenheit.
Fakten
In den Niederlanden öffneten am 28. April 2021 die Außenbereiche von Lokalen, wie etwa die deutsche Tagesschau berichtete. Das Foto im Facebook-Posting stammt allerdings schon aus dem vergangenen Jahr. Am 1. Juni 2020 veröffentlichte die niederländische Zeitung «de Volkskrant» es zusammen mit einem Artikel darüber, dass die «buitengewoon opsporingsambtenaar» (BOA), also so etwas wie außerordentliche Kriminalbeamte, die Sicherheitsabstände zwischen den Tischen kontrollieren würden.
An dem Tag lockerten die Niederlande die Covid-19-Beschränkungen u.a. für Lokale. Gastwirte durften 30 Gäste empfangen, diese mussten einen Sicherheitsabstand halten. Für die im Posting beschriebene Aktion hätte also ohnehin keine Notwendigkeit bestanden.
Arie Kievit, der Fotograf des Fotos, sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage, dass das Foto am 1. Juni 2020 in der niederländischen Stadt Haarlem aufgenommen worden sei. Eine Google-Maps-Aufnahme zeigt, dass es in der Straße Damstraat war. Dem Barkeeper auf dem Foto zufolge handelt es sich bei dem Lokal um das Café Koops. Wenn man heranzoomt, erkennt man auf dem Foto im «de Volkskrant»-Artikel auch auf der Schürze des Kellners das Logo des Cafés.
Der Manager des Lokals sagte auf dpa-Anfrage, dass das Foto von einem alten Artikel stammen würde. Die Corona-bedingten Regeln hätte er nicht missachtet. Mit der im Posting beschriebenen Begebenheit habe er nichts zu tun gehabt.
Ein Polizeisprecher der Region Nordholland teilte der dpa via Email mit, dass es sich bei der im Posting beschriebenen Begebenheit um eine Falschmeldung handle. «Ein solches Vorgehen ist uns nicht bekannt» sagte er. «Das Café auf dem Foto ist tatsächlich das Café Koops, aber es ist ein Foto vom letzten Sommer, als die Außenbereiche geöffnet waren. Kurzum, es handelt sich um eine Falschmeldung.» Es stimme zudem nicht, dass die Polizei nicht gewusst haben soll, wie sie auf die Bier-trinkenden Zivilisten reagieren hätte sollen: «Im Prinzip ist es in Haarlem und der Umgebung verboten, auf öffentlichen Straßen Alkohol zu konsumieren».
Ein Sprecher der niederländischen BOA sagte ebenfalls gegenüber der dpa, dass es falsch sei zu sagen, dass die Polizei in so einer Situation nicht handeln könne. «Man kann darüber streiten, wer verantwortlich ist, aber wenn es mehr als zwei Personen gibt, die nahe beieinander stehen, sind sowieso sie persönlich schuld. Und der Besitzer des Restaurants ist zumindest dafür verantwortlich, was in seiner näheren Umgebung passiert.» Ein Geschäft sei beispielsweise oft für den Müll im Umkreis von 25 Metern um sein Gebäude verantwortlich.
Das Posting kursierte vor Wochen bereits in anderen Ländern, wie etwa Belgien oder Frankreich. Auch die Nachrichtenagentur AFP hat dazu bereits einen Faktencheck gemacht.
Links:
Tagesschau-Artikel: https://www.tagesschau.de/ausland/niederlande-oeffnungen-gastronomie-101.html (archiviert: https://archive.is/Qm7uO)
Artikel in niederländischer Zeitung «de Volkskrant»: https://www.volkskrant.nl/nieuws-achtergrond/handhaving-van-de-regels-bij-de-terrassen-als-het-moet-sluit-de-boa-de-tent~bc6e5b61/ (archiviert: https://archive.is/TQ3po)
Niederländische Ermittlungsbeamte (BOA): http://dpaq.de/NQ2Rg (archiviert: https://archive.is/aAFu3)
«ZEIT»-Artikel über Covid-19-Lockerungen in Niederlanden im Juni 2020: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/niederlande-corona-krise-oeffnungen-restaurants-museen-kino-gastronomie (archiviert: https://archive.is/8vltF)
Google-Maps-Aufnahme von Damstraat: http://dpaq.de/yMtAJ (archiviert: https://archive.is/23xnK)
Google-Maps-Aufnahme von Café Koops: http://dpaq.de/cPxi7 (archiviert: https://archive.is/a56oW)
Früherer dpa-Faktencheck zu dem Thema: https://dpa-factchecking.com/belgium/210426-99-360235/
Französisches Facebook-Posting: https://www.facebook.com/endirectdetaville/photos/a.351445881698176/1934943343348414/ (archiviert: https://archive.is/OtIS6)
AFP-Faktencheck: https://faktencheck.afp.com/dieses-foto-zeigt-keine-niederlaendische-bar-die-stuehle-verkaufte-um-strafen-zu-vermeiden (archiviert: https://archive.is/29yCz)
Facebook-Post: https://www.facebook.com/hans.reimer.792/posts/111324977755841 (archiviert: https://archive.ph/CFKnh)
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